Luna und Marie hatten einen BMI von unter eins!

Eltern lassen Kinder hungern und verwahrlosen - Vater: „Das ist mir über den Kopf gewachsen“

von Valerio Magno, Johanna Kroke und Annika Redmer

Luna und Marie sind eingesperrt in einem Zimmer, stark unterernährt und verletzt, als das Jugendamt zu ihnen nach Hause kommt.
Nur durch einen anonymen Hinweis aus der Nachbarschaft wird die Behörde auf Familie B. in Kamp-Lintfort (Nordrhein-Westfalen) aufmerksam. Seit Montag müssen sich die jeweils 33-jährigen Eltern nun vor dem Landgericht verantworten. Sie sollen ihre Kinder verwahrlosen und hungern haben lassen. RTL war beim Prozessauftakt dabei – im Video oben.

Anklage: Misshandlung und gefährliche Körperlverletzung

Die Eltern müssen sich seit Montag (3. Juni) vor dem Amtsgericht Moers verantworten.
Die Eltern müssen sich seit Montag (3. Juni) vor der Außenstelle Moers vom Landgericht Kleve verantworten.
RTL

Katharina und Daniel B. hätten ihre Kinder „monatelang böswillig hungern lassen“ – das sagt die Staatsanwältin beim Prozessbeginn am Montag (3. Juni). Laut Anklage geht es um den Zeitraum von Sommer 2021 bis zum 1. Oktober 2021. Monate, in denen sich die Eltern nicht um die „körperliche und geistige Entwicklung gekümmert“ hätten, so die Staatsanwältin weiter. Beide Kinder, geboren im August 2018 und März 2019, seien „verwahrlost und unterentwickelt“ gewesen.

„So soll das jüngere Kind gerade mal 94 Zentimeter groß gewesen sein und rund zehn Kilo gewogen haben. Das ältere Kind soll sogar nur 80 Zentimeter groß gewesen sein und auch nur acht Kilo gewogen haben“, berichtet Alexander Lembke, Pressesprecher des Landgerichts Kleve, im Gespräch mit RTL. Das entspreche einem BMI von unter eins, ergänzt er.

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Mädchen sind in der Obhut des Jugendamtes

In diesem Mehrfamilienhaus hat Familie B. zusammen gelebt.
In diesem Mehrfamilienhaus in Kamp-Lintfort hat Familie B. zusammen gelebt.
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Als das Jugendamt Kamp-Lintfort der Familie einen Besuch abstattet, passiert gerade Schreckliches in den vier Wänden in Kamp-Lintfort. Wie die Staatsanwältin am Freitag erklärt, seien beide Kinder in einem Zimmer eingeschlossen gewesen, Luna habe geschrien. Das Jugendamt habe den Vater aufgefordert, die Kinder auf einen Stuhl zu setzen. Widerwillig habe der 33-Jährige dies gemacht.

Luna und Marie seien auf den Stühlen „apathisch“ gewesen, sie konnten nicht sprechen und hätten zahlreiche Verletzungen am Körper gehabt.

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Töchter sind stark unterernährt

Christian Stieg ist Nebenklage-Anwalt in dem Verfahren gegen die Eltern.
Christian Stieg ist Nebenklage-Anwalt in dem Verfahren gegen die Eltern.
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Lunas Bauch sei stark aufgebläht gewesen – Rippen und Schulterblätter seien sichtbar gewesen. Bei ihrer Schwester Marie zeigte sich ein ähnliches Bild: abgemagerte Arme und Beine, fährt die Staatsanwältin fort und spricht von „gemeinschaftlicher Misshandlung von Schutzbefohlenen“. Wie Christian Steig, Nebenklage-Anwalt, in einem Gespräch mit RTL erklärt, mussten Luna und Marie stationär im Krankenhaus aufgenommen werden: „Es musste verhindert werden, dass die Kinder aufgrund eines sogenannten Refeeding-Syndroms versterben. Die Kinder waren so stark unterernährt, dass sie nur noch unter Aufsicht Nahrung zu sich nehmen durften.“

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Vater Daniel B. sagt vor Gericht: „Seitdem meine Frau im Rollstuhl ist und ich dann beide Kinder hatte, da ist es mir nach und nach immer weiter über den Kopf gewachsen. [...] Dass es weniger Essen gegeben habe, da muss ich eingestehen, dass nicht alle Personen ausreichend bekocht wurden.“

Mädchen seien bei allen Kindervorsorgeuntersuchungen gewesen

Die Richterin geht an diesem Prozesstag auf die Entwicklung von Luna und Marie ein und fragt den 33-Jährigen: „Die U-Untersuchungen haben Sie alle gemacht?“ „Die U-Untersuchungen haben wir bei Luna und Marie alle gemacht“, antwortet Daniel B., der vom Kinderarzt erfahren habe, dass es etwas mehr Gewicht sein solle.

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„Bei Luna gab es die U7 im Januar 2021: 11,8 Kilo, 88 cm. Ein BMI von 15,5, der ist ganz gut“, beschreibt die Richterin die Untersuchungsergebnisse acht Monate vor dem Einsatz des Jugendamtes. „Sie hat im Januar 2021 mehr gewogen als im September 2021“, ergänzt der Richter.

Vater: „Ich habe der Luna eine auf den Hintern gegeben“

Luna und Marie seien nicht nur stark unterernährt gewesen – sie hätten beide auch Hämatome am Körper gehabt. „Ich habe der Luna eine auf den Hintern gegeben. Ich dachte, das war nicht fest. Aber daraus ist dann wohl der blaue Fleck entstanden“, sagt Daniel B. am Montag vor Gericht. Das sei das erste Mal gewesen, dass ihm die Hand ausgerutscht sei, behauptet der 33-Jährige.

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„Verbrannt haben Sie ihre Tochter nicht“, fragt die Richterin den Familienvater. Sie zeigt ein Foto von Marie: Die zeigen Verletzungen am linken Bein und der Brust – Flecken, die nach Auffassung der Staatsanwaltschaft wie Brandmale einer ausgedrückten Zigarette aussehen. „Können Sie sich erklären, woher die Verletzungen stammen könnten?“ Daniel B. antwortet „Nein“.

Vater habe erkannt, dass es seinen Kindern in einer Pflegefamilie besser gehe

Die Richterin fragt, ob es Pläne gebe, die Mädchen irgendwann wiederzubekommen. „Wir möchten, dass die beiden Kinder bei den Pflegeeltern aufwachsen, wir möchten sie nicht aus der Umgebung rausreißen. Was wir uns wünschen, ist, dass wir sie irgendwann – auch unter Aufsicht - einmal besuchen“, so der Vater. Sein Verteidiger sagt, Daniel B. leide unter einer Erkrankung, die in Richtung Depression gehe. Ihm sei alles über den Kopf gewachsen in der Vaterrolle.

Luna und Marie leben mittlerweile getrennt in Pflegefamilien, wie Nebenklage-Anwalt Christian Stieg RTL gegenüber bestätigt. Die Folgen seien für die Mädchen erheblich: „Es gibt insbesondere erhebliche Entwicklungsverzögerungen. Man kann zum jetzigen Zeitpunkt schon sagen, dass das ältere Mädchen, welches eigentlich jetzt eingeschult werden müsste, nicht regelbeschult werden kann und erst zu einem späteren Zeitpunkt in eine Förderschule gehen wird.“ Der Prozess wird fortgesetzt.