Sohn Jan (†4) erstickte in einem LeinensackFreispruch! Schuld von Sekten-Mutter am Tod ihres Sohnes nicht erwiesen

Weil eine andere Frau in ihrem Sohn die „Reinkarnation Hitlers“ sah, sollte Claudia H. den kleinen Jan (†4) sterben gelassen haben – so hatte es die Staatsanwaltschaft der 61-Jährigen vorgeworfen. Die Mutter, Mitglied einer Sekte, hätte demnach ihren Jungen im August 1988 in einen Leinensack gesteckt und der mutmaßlichen Sektenführerin Sylvia D. übergeben. 34 Jahre nach dieser unfassbaren Tat kommt die überraschende Wende: Claudia H. wird freigesprochen, das entscheidet das Gericht am 4. Oktober 2022. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft eine lebenslange Haftstrafe wegen gemeinschaftlichen Mordes gefordert.

Richterin: Mutter sei zu entschädigen

Das Landgericht Hanau hat die angeklagte Mutter vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Für den von ihr erlittenen Freiheitsentzug sei die 61-Jährige zu entschädigen, sagte die Vorsitzende Richterin am Dienstag. Das Gericht sah es nicht als ausreichend erwiesen an, dass Claudia H. Schuld am Tod ihres Sohnes trägt.

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Mit der Entscheidung folgte das Gericht dem Plädoyer der Verteidigung. Diese hatte einen Freispruch für die Frau gefordert. Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft auf eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen gemeinschaftlichen Mordes sowie auf die Verhängung eines neuen Haftbefehls gegen die Frau plädiert.

Verteidigung sieht sich bestätigt

Rechtsanwältin Wiebke Otto-Hanschmann im Hanauer Landgericht.
Die Verteidigerin von Claudia H., Wiebke Otto-Hanschmann, kritisiert das Handeln der Staatsanwaltschaft.
rtl.de

Im RTL-Interview kritisiert Wiebke Otto-Hanschmann, die Verteidigung von Claudia H., den „überbordenden Verfolgungseifer“ der Staatsanwaltschaft und sieht sich in dem Freispruch bestätigt. „Und jetzt gehe ich zu meiner Mandantin, die saß nämlich 545 Tage unschuldig in Untersuchungshaft, wie eben festgestellt wurde“, sagt sie.

So einfach möchte sich die Staatsanwaltschaft aber nicht geschlagen geben, bevor das Urteil rechtskräftig ist, laut Staatsanwalt Dominik Mies werde man es überprüfen lassen.

Jan (†4) erstickte vermutlich an seinem Erbrochenen

„Du kannst mit dem Schaubrüllen aufhören. Es ist keiner mehr da und ich gehe jetzt in den Garten“, soll Sylvia D. dem Jungen noch im Sack gesagt haben, lässt ihn mit seinen Todesängsten zurück. Kurze Zeit später stirbt der kleine Jan, vermutlich erstickt er qualvoll an seinem eigenen Erbrochenen.

Claudia H. beteuerte in der Vergangenheit immer wieder ihre Unschuld und verfolgte den Prozess am Hanauer Landgericht weitgehend regungslos, ihr Gesicht verbarg sie hinter einem Aktenordner.

Mordurteil gegen Sekten-Chefin Sylvia D. wieder aufgehoben

22.10.2019, Hessen, Hanau: Die 72-jährige Angeklagte betritt mit ihrem Anwalt Matthias Seipel den Gerichtssaal. Die Anklage wirft der mutmaßlichen Sektenchefin Mord an einem damals vierjährigen Jungen vor. Die Angeklagte soll das Kind im Jahr 1988 in einen Leinensack eingeschnürt, im Badezimmer abgelegt und ihn trotz panischer Schreie seinem Schicksal überlassen haben. Foto: Jörn Perske/dpa - ACHTUNG: Person(en) wurde(n) aus rechtlichen Gründen gepixelt +++ dpa-Bildfunk +++
Sie soll Claudia H.s Sohn Jan als Reinkarnation Hitlers gesehen und im religiösen Wahn getötet haben: Im Oktober 2019 wurde die mutmaßliche Sekten-Chefin zunächst wegen Mordes verurteilt.
brx, dpa, Jörn Perske

2019 war in dem Fall die mutmaßliche Sekten-Chefin wegen Mordes verurteilt worden, doch hob der Bundesgerichtshof diese Entscheidung im Mai dieses Jahres auf und verwies das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Frankfurt.

Aus Sicht der Bundesrichter hätte sich das Landgericht Hanau eingehender mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob es sich „um eine Tötungshandlung durch aktives Tun oder eine solche durch Unterlassen handelte“, hieß es seinerzeit unter anderem zur Begründung. Zudem hatten die Bundesrichter gefordert, die Schuldfähigkeit von Sylvia D. müsse erneut überprüft werden.

Jans Tod galt zunächst als Unfall

Die Gruppe soll von psychischer und physischer Gewalt geprägt gewesen sein. Neben dem gestorbenen Vierjährigen lebten laut Recherchen der Frankfurter Rundschau die leiblichen Kinder Sylvia D.s sowie Adoptiv- und Pflegekinder in der Gemeinschaft. Der vierjährige Jan soll extrem unterernährt gewesen, misshandelt und erniedrigt worden sein. Ermittler hatten den Tod des Jungen lange Jahre für einen Unfall gehalten, erst 2015 war der Fall nach Hinweisen von Sekten-Aussteigern wieder aufgerollt worden. (kmü/npa/gmö)