Teenager in Dortmund durch fünf Polizeischüsse getötet

„Für uns gut gelaufen“ - Einsatzleiter bricht sein Schweigen

Das Opfer Mouhamed Dramé auf Flyern.
Der aus Senegal stammende Mouhamed Dramé wurde in Deutschland von einem Polizisten erschossen.
RTL

Er hatte sein ganzes Leben noch vor sich.
Fünf Kugeln durchlöchern Mouhamed Dramé. Der Geflüchtete (16) sackt im August 2022 in Dortmund zusammen und stirbt – erschossen von der Polizei. Im Prozess bricht der Einsatzleiter endlich sein Schweigen, Worte des Bedauerns fallen nicht.

Sechs Schüsse in 1,8 Sekunden

Nach knapp zwei Jahren ist der Einsatzleiter der erste der fünf angeklagten Polizeibeamten, der im Fall Mouhamed Dramé das Wort ergreift. „Wir waren der Ansicht, dass der Einsatz für uns gut gelaufen ist“, sagt er am Mittwoch am Landgericht Dortmund. Laut dem 55-Jährigen verlief der Einsatz also gut – trotz des Todes des 16-jährigen Flüchtlings. Ein gut gelaufener Einsatz, bei dem ein Polizeibeamter mit einer Maschinenpistole sechs Schüsse in 1,8 Sekunden auf einen Teenager abfeuert – und fünfmal trifft.

Fehler seitens der Polizisten räumt der Einsatzleiter vor Gericht nicht ein, im Gegenteil: In nüchterner Sprache eines Polizeiberichts erklärt er, weshalb er der Überzeugung ist, alles richtig gemacht zu haben. Durch das Pfefferspray wollte er den Jungen entwaffnen lassen, Taser und Maschinenpistole dienten demnach nur zur Sicherung der Kollegen. Doch alle Einsatzmittel wurden benutzt. Der Schütze Fabian S. ist wegen Totschlags angeklagt. Zwei Kolleginnen und ein Kollege wegen gefährlicher Körperverletzung, ihr Chef wegen Anstiftung zu dieser.

Im Video: Prozessauftakt im Fall Mouhamed Dramé

Was soll passiert sein?

Seit dem Prozessauftakt im Dezember versucht das Landgericht Dortmund am mittlerweile elften Verhandlungstag den Vorfall zu rekonstruieren. Die Verhandlungen gehen auch der Frage nach, ob erst das polizeiliche Eingreifen die zunächst statische Lage eskalieren ließ.

Die Staatsanwaltschaft, Zeugen und zwei der fünf Angeklagten schildern alle einen ähnlichen Ablauf: Am 8. August 2022 soll sich der Senegalese im Innenhof einer Jugendeinrichtung, in der er seit kurzem lebte, ein Küchenmesser an den Bauch gehalten haben. Zusammengekauert soll er in einer Nische im Innenhof gesessen haben und auf keine Ansprache reagiert haben. Die Einrichtung rief die Polizei, fünf Polizisten trafen ein. „Ich habe gesehen, dass er das Messer etwas höher als dem Bauchnabel hielt. Dann habe ich gesehen, wie er das Messer immer wieder nachjustierte. Deshalb war für mich klar, dass wir schnell handeln mussten“, begründet der Einsatzleiter seine Entscheidungen vor Gericht.

Erst Pfefferspray und Taser - dann folgen die Schüsse

Als Polizei habe sich dem 16-Jährigen gegenüber niemand vorgestellt. „Ich gehe schon davon aus, dass er unser geballtes Auftreten als Polizei irgendwie mitbekommen hat.“ Der Einsatzleiter sagt weiter aus: „Ich habe gerufen ‘Messer weg!’ Dann habe ich den Einsatz des Pfeffersprays angeordnet.“ Durch einen Zaun entleerte daraufhin eine Beamtin ihr Pfefferspray in Richtung des Jugendlichen. Eine alternative Strategie habe der Einsatzleiter vor Ort nicht gesehen.

Die Reaktion des Jugendlichen auf das Pfefferspray sei anders als erwartet gewesen: Er soll sich nicht die Augen gerieben und das Messer nicht fallen gelassen haben. Stattdessen soll er aufgesprungen sein und sich mit dem Messer nach vorne gerichtet auf die Beamten zubewegt haben. Dann knallte es mehrfach, weil erst zwei Taser und wenige Sekunden später die Maschinenpistole abgefeuert wurden. Kurz darauf verstarb der 16-Jährige im Krankenhaus.

Lese-Tipp: 96 Schüsse in 41 Sekunden - Polizisten töten Schwarzen bei Verkehrskontrolle

Zwischen dem Taser und den Schüssen sind nur fünf Sekunden

Auf den Taser soll der 16-Jährige ebenfalls nicht reagiert haben. Zwischen der Verwendung des Tasers und dem Abfeuern der Maschinenpistole sollen fünf Sekunden vergangen sein. Wie Mittwoch offenbart wurde, soll der Einsatz des Tasers keine Anordnung vom Einsatzleiter gewesen sein. Ein anderer 34-ähriger Polizeibeamter, der mit seiner Kollegin hinter dem Zaun stand, habe diese Entscheidung eigenmächtig getroffen und erklärt sich ebenfalls vor Gericht. „Für mich war schon Gefahr für Leib und Leben gegeben. Ich wusste nicht, was er mit dem Messer vorhat“, erklärt der Beamte seine Entscheidung. Bedenken bezüglich der Nutzung des Pfeffersprays hatte auch er nicht. „Soll ich darauf warten, dass Herr Dramé sich das Messer in den Bauch rammt und dann stehen zwölf Leute rum und haben nichts getan?“

Lese-Tipp: Eskalation bei Kontrolle im eigenen Zuhause - Polizisten verprügeln Vater

Die Polizei beruft sich bei dem Gerichtsverfahren auf Notwehr und Nothilfe. Ob der Schütze Fabian S. sich für Totschlag verantworten muss oder die Richter im Fall von Dramé Notwehr sehen, bleibt noch abzuwarten. Bislang ist für keinen der Angeklagten ein Urteil gefallen. Am 22. Mai geht der Prozess in eine neue Runde, dort will dann auch der Schütze aussagen. Ein weiterer Verhandlungstag, an dem die Angehörigen von Mouhamed Dramé sich erneut anhören müssen, wie ihr Bruder, ihr Freund und ihr Vertrauter mit fünf Schüssen getötet wurde.