Mitten auf dem Maschsee: Sommerinterview mit Olaf Lies
In Hannover treffen wir den neuen Ministerpräsidenten Olaf Lies zu seinem ersten Sommerinterview.
Jetzt, im Hochsommer, präsentiert sich die niedersächsische Landeshauptstadt von ihrer besten Seite. Fast ist alles so wie immer. Nur politisch hat sich in diesem Jahr einiges verändert. Als neuer Ministerpräsident hat er das Land jetzt fest im Blick. Olaf Lies steht seit zweieinhalb Monaten an der Spitze der niedersächsischen Landesregierung, will nun eigene politische Akzente setzen. Am Maschsee in Hannover treffe ich den neuen Regierungschef zum traditionellen Sommerinterview. Herr Lies, wir sind mittendrin in der schönsten Zeit des Jahres. Viele Niedersachsen genießen gerade ihre Ferien. Ist das bei Ihnen in diesem Jahr überhaupt möglich? Jetzt gerade zum Start ins neue Amt. Da müssen Sie ja wahrscheinlich ordentlich ranklotzen. Streng genommen sind Sie noch in der Probezeit, oder?
Das stimmt, das ist schon eine extrem intensive Zeit gewesen. Trotzdem war es mir wichtig, ein paar Tage mit der Familie zu haben. Das erdet einen, das hilft einem. Und so waren wir am Ende fünf Tage auf Spiekeroog, und das habe ich sehr genossen.
Was sind Sie denn für ein Urlaubstyp? Also zieht es Sie tatsächlich eher an die Küste oder so wie jetzt hier ans Wasser? Oder geht es auch mal weiter weg in die Berge zum Wandern?
Also in den letzten Jahren, vielen Jahren, bin ich der totale Langweiler. Es ist immer der gleiche Ort. Es ist immer Spiekeroog. Es ist immer die gleiche Struktur, die wir dort haben. Das ist etwas, worauf ich mich sehr freue. Und ich liebe einfach die Küste. Ich liebe das Meer. Alles andere ist toll. Aber das Meer ist einfach was ganz Besonderes. Wenn man da groß geworden ist, ist das vielleicht noch so?
Welche Erinnerungen haben Sie denn noch so an Ihren allerallerersten Urlaub? Ging es da auch an die Küste? Was ist Ihnen da noch so in Erinnerung geblieben?
Tatsächlich ging es auch an die Küste und wir hatten damals diese verrückte Idee: Wir fahren mit dem Bus nach Spanien und machen da Urlaub an der Küste. Und die große Idee war die erste große Reise. Wir waren noch jung, wir waren mit dem Bus. Es dauert 20 Stunden. Ich war fest davon überzeugt, man braucht für jede Stunde ein Brötchen und so hab ich 20 Brötchen geschmiert mitgenommen. Das hat sich nicht bewährt am Ende. Aber es ist in Erinnerung geblieben.
Ganz so viel Proviant haben wir jetzt nicht am Start. Ich würde sagen, wir stechen in See. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
Gerne.
Den sicheren Hafen verlassen, auf sich alleine gestellt sein. Nach mehr als zwölf Jahren in der niedersächsischen Landesregierung übernimmt Olaf Lies nun selbst das Steuer. Wo aber geht's lang mit ihm als Kapitän? Herr Lies, welchen Kurs schlagen Sie denn politisch jetzt ein? Wo wollen Sie neue Akzente setzen?
Ich glaube, wir brauchen wirklich ein Stück Aufbruchstimmung. Wir spüren das in der Gesellschaft. Es gibt ein großes Stück Unsicherheit. Die Leute sagen: Wir wissen nicht, wo es hingeht. Wir müssen jetzt zeigen, dass der Staat handlungsfähig ist. Das heißt investieren. Das ist uns mit dem Aufschlag für den Haushalt gelungen, gemeinsam mit dem Bund. Und ich glaube, das Signal muss auch sein: Nicht Bund gegen Länder oder Länder gegen den Bund, sondern auch gemeinsam handlungsfähig in Deutschland sein. Das soll ein Stück weit jetzt auch die nächsten Monate bestimmen.
Nun sind Sie, das muss man ja auch sagen, als Ministerpräsident nie gewählt worden. Sie haben das Amt übernommen. Womit wollen Sie denn all die Menschen überzeugen, die sich eigentlich mal für Stephan Weil als Regierungschef entschieden haben? Also, wie wollen Sie dafür sorgen, dass die im Boot bleiben?
Ja, das ist wirklich so! Stephan Weil steht ja und stand ja auch für die verlässliche und vertrauensvolle Landespolitik. Und natürlich war er sozusagen auch der Motor für die Erfolge, die wir erzielt haben. Das ist eine ganz schöne Herausforderung. Es hat viel damit zu tun, dass man ein Stück von dem fortsetzt, also das Verlässliche auch bewahrt und deutlich macht, dass wir weiterhin dafür stehen, dass das, was wir sagen, dass wir das auch tun und Niedersachsen voranbringen. Es hat aber auch viel mit persönlichen Kontakten zu tun. Ich war in den ersten Monaten sehr viel unterwegs, habe viele Gespräche geführt. Ich glaube, auch das ist ein ganz entscheidender Aspekt, nicht über die Menschen zu reden, sondern mit den Menschen vor Ort sich deren Sorgen, Themen und Nöte anzunehmen und dann nach Lösungen zu suchen.
Wie groß ist denn da der Erfolgsdruck, der auf einem lastet?
Der ist immens, der ist riesengroß. Nach drei erfolgreichen Landtagswahlen ist das völlig klar. Aber auf der anderen Seite ist auch die Motivation riesengroß und ich hoffe, das passt gut zusammen.
Von wahren Höhenflügen ist seine Partei derzeit jedoch weit entfernt. Die SPD dümpelt bundesweit derzeit zwischen 13 und 15 %. Olaf Lies wird sich in den kommenden Monaten also ganz schön abstrampeln müssen, um das Ruder auch hierzulande noch herumzureißen. Ist bei diesen Werten eine Trendumkehr überhaupt noch möglich?
Das ist eine ganz schöne Herausforderung. Und wenn wir ganz ehrlich sind, merken wir es für die demokratischen Parteien insgesamt. Ich finde, dass die neue Bundesregierung gut gestartet ist und viele Themen besetzt hat. Es zeigt sich aber noch nicht bei der Zustimmung der Wählerinnen und Wähler. Das ist die Aufgabe, die wir haben. Wir müssen noch besser erklären, was wir tun. Wir müssen uns nicht nur absetzen von rechten und linken Strömungen, denen wir die rechten und linken Strömungen verurteilen. Wir müssen unsere eigene Politik besser sichtbar und wahrnehmbar machen. Und vor allen Dingen glaube ich, das wird wichtig sein mit einer Bundesregierung, die es gemeinsam macht, aber auch mit Ländern, die das haben wir ja auch jetzt bewiesen, mit dem Bund gemeinsam Politik machen und nicht ein ständiges Gegeneinander. Das will keiner.
Nun machen sich viele Menschen ja gerade große Sorgen um die Zukunft, auch um unsere Demokratie. Gerade im Hinblick auch auf die hohen Umfragewerte von extremen Parteien wie der AfD, die ja sicherlich auch darin begründet sind, dass eben das Vertrauen in die Politik abnimmt, das Vertrauen in die Sicherheit, das Vertrauen auch in die Rente. Wie wollen Sie dieses Vertrauen zurückgewinnen?
Also ich finde, was wir auch erleben, ist, dass wir eigentlich geprägt sind von negativen Botschaften. Also all das, was nicht funktioniert. Da gibt es eine Menge von, die will ich gar nicht, das will ich gar nicht ignorieren. Aber dass wir ein starkes Land sind, ein Land sind, bei dem die Menschen in unserem Land mit einem großen Engagement am Erfolg arbeiten. Ein bisschen muss die Stimmung sich verändern, dass wir auch sichtbar machen, dass wir auch stolz auf unser Land sein dürfen, stolz auf die Menschen, die hier sind. Und wir müssen die richtigen Weichenstellungen haben. Das muss uns ehrlicherweise mit dem Bund zusammen gelingen.
Nun sind Sie hier zweifelsohne auch ein sympathischer, ein sehr netter Mensch. Viele Probleme. Die werden sich aber sicherlich nicht so einfach weglächeln lassen. Wie viel Durchsetzungskraft haben Sie denn am Ende, wenn es hart auf hart kommt?
Es muss die Kombination sein. Ich finde, man muss freundlich bleiben. Man muss auch immer im Gespräch bleiben. Aber man muss entscheiden. Und wir haben leider auch oft erlebt, dass wir uns in der Diskussion verloren haben, dass wir dann vielleicht nicht gesagt haben, wir treffen jetzt eine klare Entscheidung. Und wir haben oft Argumente, wo man sagt, da gibt es Dinge, die wir abwägen müssen, und dann müssen wir entscheiden. Wir wollen die Energiewende. Also müssen wir sie voranbringen. Wir wollen die Transformation. Also müssen wir sie voranbringen. Wir wollen Arbeitskräfte in unser Land tun, also müssen wir sie integrieren. Also klarere Botschaften vielleicht. Ich glaube, die Menschen müssen merken, dass auch Orientierung besteht. Politik muss Orientierung und muss auch eine Richtung vorgeben. Und die muss verlässlich sein.
Bislang allerdings sind wir vor allem auch weltpolitisch in ziemlich unruhigem Fahrwasser unterwegs. Ukraine, Krieg, steigende Preise und anhaltende Spannungen zum einstigen Verbündeten USA drücken deutlich auf die Stimmung. Diese Woche treten die neuen US-Strafzölle in Kraft, genauer gesagt schon ab morgen. 15 % auf die meisten Waren aus der EU. Darin auch inkludiert Autos. Wie hart trifft uns das? Hier bei uns in Niedersachsen, gerade im Hinblick auf die Häfen und eben einen der größten Autobauer Volkswagen.
Das ist schon ein harter Schlag, weil für Niedersachsen die USA ein ganz extrem wichtiger Außenhandelspartner sind. Erstmal bin ich froh, es gibt eine Einigung, weil die Ungewissheit noch größer war. Und ich hoffe, es bleibt dann auch bei einer Einigung. Zweitens, wir haben auch noch Bereiche, die uns besonders hart treffen. Stahl zum Beispiel, Aluminium, gerade für uns. Stahl, weil es ja auch ein Verdrängungswettbewerb ist. Also wir müssen handeln. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass wir in Europa besser vorbereitet auf solche Verhandlungen sind, den Binnenmarkt noch weiter stärken. Und aus meiner Sicht brauchen wir auch europäische und nationale Konjunkturimpulse.
Neue Impulse soll ja auch das Investitionsprogramm des Bundes setzen, auch eine neue Aufbruchstimmung vermitteln. Wo genau aber wird das Geld dann bei uns, bei uns in den Kommunen ankommen? Also wo haben Sie diese Mittel vorgesehen?
Tatsächlich müssen jetzt alle Bereiche investieren. Fangen wir bei den Kommunen an, da ist großer Handlungsbedarf in der Infrastruktur. Das gilt für die kommunale Infrastruktur wie Straßen, für Sporthallen, Sportplätze, gilt für kommunale Gebäude, also da, wo auch die Menschen morgen sehen: Es verändert sich was. Im Grunde müssen sie schimpfen, dass es so viele Baustellen gibt. Aber die sind ja ein Signal: Es wird besser. Es gilt beim Land ebenso, dass auch beim Land werden wir intensiv dort investieren müssen, wo die Menschen das merken. Landesstraßen, Brücken und auch der Bund wird erheblich investieren. Das heißt, vor allen Dingen wird es darum gehen, dass die Menschen spüren, dass es besser wird. Und dieses Signal: Kriegt der Staat das hin? Das ist jetzt wichtig.
Nun muss man fairerweise auch sagen, basiert das Ganze natürlich auf Schulden, das heißt zulasten künftiger Generationen. Sie sind selbst Vater. Sie sind selbst Großvater. Das muss ja tatsächlich alles zurückgezahlt werden. Kann man das ruhigen Gewissens überhaupt verantworten?
Deswegen darf man nicht leichtfertig sein. Wir haben auch einen sehr starken Sparhaushalt. Das heißt, da, wo klassischerweise konsumtive Ausgaben sind, das, was wir uns wünschen, was wir gerne noch mehr machen würden, aber was wir Jahr für Jahr bezahlen müssen, das machen wir nicht. Da sind wir am Sparen. Aber da, wo wir investieren, das heißt, da, wo die Straße sonst verkommt und nicht mehr genutzt werden kann, da, wo die Gebäude ja sowieso saniert werden müssen, da investieren wir. Und ich glaube, das ist das, was der Private auch kennt, der sagt, ich kann mir bestimmte Dinge nicht leisten, aber wenn ich ins Haus investieren muss, damit es morgen noch in Ordnung ist, dann mache ich das. Und vielleicht verstehen die Menschen dann auch besser, dass Politik im Grunde auch versucht, so zu handeln, wie der normale Bürger auch handeln würde.
Maßnahmen, mit denen sich die Politik irgendwie auch über Wasser halten will, um nicht Schiffbruch zu erleiden. Für heute jedenfalls haben wir das rettende Ufer erreicht. Die kommenden Wochen und Monate dürften für Olaf Lies aber alles andere als ein Spaziergang werden.