Gar nicht so glaubwürdig, wie viele denken?: Das miese Geschäft mit Google-Bewertungen
Michael Dittmar ist Kfz-Mechaniker, hat einen kleinen Betrieb und versteht die Welt nicht mehr: Erst erhält er Ein-Sterne-Google-Bewertungen - von Leuten, die er gar nicht kennt. Und dann meldet sich eine Firma bei ihm, die sagt: Wir löschen die Bewertungen, macht 69 Euro pro Stück. Er ist nicht der einzige Betroffene.
Gut bewertet kommt gut an – dass da mal die ein oder andere Fake-Bewertung nach oben oder unten dabei sein kann, wissen wir mittlerweile und nehmen wir in Kauf. Was mir aber nicht so klar war: Auch das Löschen von Bewertungen ist inzwischen ein Riesengeschäft – und klingt manchmal richtig nach Erpressung!
Tobias Deckert, RTL-Reporter: „Der KFZ-Meister, den ich jetzt treffe, der hat plötzlich eine negative Bewertung bekommen von jemanden, der überhaupt gar nicht sein Kunde war. Und dann meldeten sich dubiose Firmen, die diesen Eintrag löschen wollten, gegen Geld. Was steckt dahinter?“
Ich bin bei Michael Dittmar in der Autowerkstatt. Er zeigt mir direkt die Ein-Sterne-Bewertung, die ihn stutzig machte – die erste in einer ganzen Reihe. Ein Pawel L. beschwert sich, dass sein Luftfilter nicht gewechselt wurde.
Michael Dittmar: „Dann schreibt er hier: erst als ich das Büro verlassen habe, fiel mir auf, dass die Zusatzarbeiten gar nicht durchgeführt wurden. // Ein Mitarbeiter, ein junger Mann, der sich nicht vorgestellt hat, versuchte mir zu erklären, dass der Wechsel nicht fällig war.“
Doch der Kfz-Meister versichert mir: Pawel L. oder jemanden mit so einem Fall kennt er nicht.
Michael Dittmar: „Hier passt gar nichts. Hier hat zwar jemand einen langen Text geschrieben, aber der war gar nicht bei uns.“
Tobias Deckert: „Der war nie Kunde?
Michael Dittmar: „Der war nie Kunde oder der schreibt für jemand anderes. Aber ich kann den Vorgang gar nicht nachvollziehen.“
Und von solchen Bewertungen kommen noch weitere – jeweils nur ein Stern. Das wirft ein schlechtes Bild auf die davor sehr gut bewertete Werkstatt.
Michael Dittmar: „Wenn da einer Kritik hinschreibt, die nicht stimmt. Dann kratzt das ja schon an uns. Da schimpft jemand oder meckert jemand über uns und wir haben gar nichts Verkehrt gemacht.“
Jetzt könnte man vielleicht denken: Da kann jemand mit Kritik nicht umgehen. Doch dann zeigt mir Michael Dittmar, was er kurz darauf im Briefkasten hatte.
Michael Dittmar: „Jetzt kommts richtig Dicke hier!“
Tobias Deckert: „Da ist ja wieder unser Pawel L.“
Michael Dittmar: „Da kommt er wieder um die Ecke!“
Da hat sich jemand Mühe gegeben. Auf diesem Schreiben ist nicht nur die Bewertung von Pawel L. abgedruckt, sondern auch alle sonstigen Ein-Sterne-Bewertungen, die Michael Dittmar je erhalten hat. Das Angebot: Für 69,00 Euro pro Stück können die Negativbewertungen wieder entfernt werden.
Michael Dittmar: „Der erste Gedanke, den man kriegt, ist natürlich: Die haben die Bewertungen geschrieben und schreiben mich danach nach kurzer Zeit an und sagen: Wir machen sie wieder weg. Also wenn man schlecht denkt, könnte man meinen, da hat jemand ein Geschäftsmodell entdeckt.“
Zudem sei er angerufen worden, angeblich von verschiedenen Firmen.
Michael Dittmar: „Ich bekomme regelmäßig Anrufe. Wir haben gesehen auf Ihrer Seite: Negative Bewertungen, sollen wir Ihnen die wegmachen. Haben Sie Interesse, sollen wir Ihnen die wegmachen. Sie wollen doch gut dastehen!“
Tobias Deckert: „Hier geht’s ja darum die Bewertungen zu manipulieren und Sie gleichzeitig unter Druck zu setzen.“
Ich werde mir diese Firmen noch genauer ansehen. Zunächst will ich aber wissen, wie groß die Dimension ist. Ich finde auch von Usern viele Beschwerden, ihre negativen Bewertungen seien einfach gelöscht worden.
Tobias Deckert: „Allein für Restaurants finde ich hier bei Google und bei anderen Bewertungsplattformen ganz viele Beispiele.“
Antje P.: "Das Essen war nicht gut. Wenn man das schreibt, werden Google-Bewertungen gelöscht."
Tobias Deckert: „Es verschwinden nicht nur Ein-Sterne-Bewertungen, sondern auch drei bis vier Sterne, hier!“
„Restaurant versucht Rezensionen mit weniger Sternen wegen "Diffamierung" löschen zu lassen, selbst wenn diese freundlich formuliert und faktenbasiert sind.“
Doch wie kann das sein? Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Anbietern, die sich darauf spezialisiert haben, Google-Sterne zu entfernen. Einer ist Norbert Weber. Er ist schon mit Fake-Bewertungen bei Amazon aufgefallen, wurde verklagt und verurteilt. Tatsächlich ist er bereit, mit mir zu sprechen – und verteidigt sein Geschäftsmodell.
Tobias Deckert: „Was denken Sie über Menschen, die negative Bewertungen reinstellen?“
Norbert Weber : „Es ist nicht der Gutmensch, der uns da alle warnt, sondern es ist eine frustrierte Person, die einfach zu feige war, den Mund vor Ort aufzumachen.“
Deswegen sei es wichtig, schlechte Sterne zu entfernen. Er verkauft auf seiner Homepage auch Positive oder Likes. Geben echte User Likes ab? Nein!
Norbert Weber: „Oft wird gesagt, der Kunde würde dadurch getäuscht. Aber ich denke, genau das ist es nicht. Dadurch, dass der Kunde durch die negativen Bewertungen auch geschützt wird, die falsch sind oder oftmals falsch sind oder im hohen Maße falsch sind, wird der Kunde eben nicht getäuscht, sondern eher richtig informiert und das ist eine Aufgabe, die wir hier in Deutschland brauchen.“
Tobias Deckert: „Aber verfälscht das nicht auch das Ergebnis? Denn es gibt ja auch wirklich Kunden, die im Restaurant waren und sich die Kritik nicht ausdenken.“
Norbert Weber: „Das mag sein, es ist aber nicht meine Rolle, das zu beurteilen. Und wir bieten den Service an, der das Augenmerk auf die 95 Prozent, die gut sind und nicht auf die drei Prozent, die schieflaufen.“
Eine, sagen wir, sehr eigenwillige Sichtweise, wie ich finde. Seine Firma meldet Google die Bewertungen, die entfernt werden sollen. Das kann im Übrigen jeder! In einem Formular muss es eine Begründung geben, zum Beispiel wegen vulgärer Sprache. Rechtsanwalt Jan Meyer bietet selbst an, schlechte Bewertungen juristisch zu prüfen und gegebenenfalls löschen zu lassen. Dubiose Löschfirmen dagegen würden versuchen, eine bestimmte EU-Verordnung auszunutzen, den Digital Services Act.
Jan Meyer: „Der führt auch dazu, dass die Portale erstmal in der Pflicht sind, einen rechtswidrig gemeldeten Content offline zu nehmen und das ist auch der Grund, weswegen auch so flächendeckend viele, die das nicht so interessiert, was den Ehrenkodex angeht… Das heißt: hält man sich auch daran, eine echte Kritik stehen zu lassen, dass die einfach sagen: Ist uns völlig egal. Für Geld löschen wir die alles weg.“
Ist Google bewusst, dass auch offenbar ehrliche Bewertungen verschwinden? Wir bitten um Stellungnahme. Google antwortet uns nur ausweichend: „Unsere Richtlinien besagen eindeutig, dass Rezensionen auf echten Erfahrungen beruhen müssen – weshalb wir umgehend gegen böswillige Akteure vorgehen (…)“. Jan Meyer erklärt mir im Übrigen, dass seiner Erfahrung nach bei anderen Seiten wie Booking.com oder Amazon eher weniger gelöscht werde.
Jan Meyer: „Bei anderen Bewertungsportalen ist das so, dass häufig eine Kunden oder Gast-Eigenschaft schon vom Portal vorher geprüft wurde und dann zieht das Argument, dass es fake sei, zum Beispiel gar nicht.“
Zurück zu Michael Dittmar. Der KFZ-Meister wird nicht nur selbst bewertet, auch er gibt Bewertungen ab – und auch er habe schon die Erfahrung gemacht, dass seine echte Bewertung gelöscht worden sei.
Michael Dittmar: „Ich habe ein Restaurant bewertet, wo es nicht so rund gelaufen ist, da ist die Bewertung dann nach einiger Zeit rausgenommen worden von Google.“
Michael Dittmar: „Google schreibt hier, ich zitiere mal: Google hat eine Beschwerde über die nachfolgende URL bekommen: Diffamierung.“
Tobias Deckert: „Diffamierung? Vor allem ging es Ihnen ja darum, dass der Betreiber etwas macht aus der Kritik.“
Michael Dittmar: „Das ist für mich absolut Zensur hier, weil ich auch die Wahrheit geschrieben habe.“
Google will uns nicht begründen, was an seiner Anzeige diffamierend ist. Vielleicht sagt es mir das Restaurant selbst. Es gibt auffällig viele positive Bewertungen!
Tobias Deckert: „Hier ein Kommentar, der ist versteckt – ha! In einer 5-Sterne-Bewertung – man denkt, das ist gut, aber hier steht: Kritische Bewertungen werden zensiert. Wenn man keinen Wert legt auf Preis-Leistung, kann man ruhig hier herkommen.“
Wir drehen mit versteckter Kamera. Ich spreche die Kellnerin aufs Löschen an.
Angestellte: „Also ich weiß es selber nicht so genau, ich bin ganz neu aber jetzt gerade sind wir gerade dabei, also unser Team hat sich sehr reduziert. Jetzt weht hier ein neuer Wind. Davor war das Team nicht ganz so zufriedenstellend. Deswegen sind die am neu aufbauen.“
Ich frage, ob deshalb die Bewertungen gelöscht wurden.
Angestellte: „Also ich weiß es nicht genau, ob es gelöscht wurde. Aber jetzt kommt hier ein neuer Wind rein.“
Tobias Deckert: „Der Geschäftsführer wollte uns zum Thema Löschen leider nichts sagen. Aber mein Eindruck: die Bedienung war nett, das Essen gut. Ich glaube, die gehen jetzt hier einen neuen Weg.“
Massenhaftes Löschen und lukrative Geschäfte damit … Michael Dittmar hatte ja den starken Verdacht, dass die Löschfirma mit dem Werbebrief die negativen Bewertungen vorher selbst abgegeben hat. Wir rufen dort an. Eine Dame legt dem Kfz-Meister nochmal nahe, die Dienstleistung zu nutzen.
Telefonistin: „No Risk, no fun. Sie können uns ausprobieren und haben keine Nachteile. Sie müssen ja nicht zahlen, wenn wir die Rezension nicht entfernen.“
Tobias Deckert: „Haben Sie die Bewertungen selber reingestellt und wollen jetzt dafür Geld haben, dass die wieder gelöscht werden oder wie ist das?“
Telefonistin: „Um Gottes Willen, nein – nein – das wäre dann nicht legal. Wir wollen ja langjährige Kundenbindung und das wäre ja dann schädlich.“
Rechtsanwalt Jan Meyer sagt, dass man solche Praktiken kaum nachweisen könne. Dennoch kennt er einen Fall, wo eine Mandantin von so einer Löschfirma erpresst wurde.
Jan Meyer: „Zahl die Rechnung oder Du kriegst mehr negative Bewertungen. Man kann also sagen: moderne Schutzgelderpressung.“
Michael Dittmar ärgert sich über die Praktiken, will auf das dubiose Angebot nicht eingehen. Mit echten Bewertungen wolle er so oder so leben, auch wenn sie schlecht sind.
Michael Dittmar
„Wir brauchen auch Kritik, diejenigen, die sich nicht trauen uns anzusprechen schreiben es da hin. Wir gehen drauf ein und dann ist es auch authentisch. Der, der das liest wird dann sehen: ja da ist was vorgefallen, aber die gehen gut damit um.“
Eigentlich sollen die Google-Sterne Orientierung bieten, doch die Glaubwürdigkeit gerät immer mehr in Gefahr. Weiterhin gilt grundsätzlich: je mehr Bewertungen, desto glaubwürdiger. Oft lohnt es sich, mal Bewertungen auch wirklich durchzulesen, um ein Gefühl für die Echtheit zu bekommen – denn manchmal sind auch in Fünf-Sterne-Bewertungen Botschaften versteckt.