Prozess um getöteten Club-Besucher (28) in Würzburg

„Es war, als hätte ich die Kontrolle über meine Körper verloren“

Freunde und Bekannte beschreiben Ling-Ling als stets fröhlich und freundlich.
Freunde und Bekannte beschreiben Ling-Ling als stets fröhlich und freundlich.
RTL
von Patricia Kiel und Michaela Johannsen

Als die Anklageschrift verlesen wird, gibt es viele Tränen im Gerichtssaal.
Shawn Alex, genannt Ling-Ling, stirbt mit gerade einmal 28 Jahren. Vor einem Würzburger Club beweist er Zivilcourage, beschützt zwei Frauen vor dem nun Angeklagten und muss dafür mit seinem Leben bezahlen. Heute (3. Juni) beginnt der Prozess gegen den Tatverdächtigen Francesco S. (22). Der gibt sich vor Gericht reumütig und schildert die verhängnisvolle Nacht aus seiner Sicht. RTL hat den Prozess beobachtet.

Würzburg: Angeklagter kaufte sich Messer zum Schutz vor Überfällen

Vor Gericht drückt der Angeklagte sein Bedauern über die Tat aus, spricht dabei jedoch nicht persönlich. Sein Anwalt verliest seinen Erklärungsversuch. „Es tut mir leid, dass ich am 17.09.23 drei Personen mit Messerstichen verletzt habe“, heißt es darin. Dass er den Angehörigen seines Opfers solch ein Leid zugefügt hat, tue ihm leid. Er wolle um Vergebung bitten.

Während seiner Aussage muss der Vater des Getöteten den Saal verlassen. Er ist als Zeuge geladen. Der Richter bittet ihn daher, zuvor nicht am Prozessverlauf teilzunehmen. „Ich kann es nicht abwägen, was an Kraft nötig ist, um diese Tortur durchstehen zu können“, sagt Vater Chris R. zu RTL.

Francesco S. lebt in Offenbach, kommt zum Feiern nach Würzburg, wird jedoch an der Club-Tür abgewiesen. Warum er ein Messer bei sich trägt, erklärt er so: „Es kam regelmäßig vor, dass ich erst nach 22 Uhr Feierabend habe. Offenbach ist eine gefährliche Stadt.“ Schon häufiger sei er nach Feierabend überfallen worden. Das Messer habe ihm „ein Gefühl der Sicherheit“ gegeben.

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Im Video: Ling-Ling (28) vor Disco in Würzburg erstochen

Angeklagter vor Gericht: „Ich habe große Angst verspürt, dass es kein Ende nimmt“

Als er am Club Studio ankommt, sei er bereits stark betrunken gewesen. „Auf der Straße in der Nähe standen drei Frauen“, erzählt er. Sie hätten ihm gesagt, er solle sich „verpissen“, was ihn wiederum erzürnt hat. Ein Türsteher schreitet ein, der Angeklagte soll ein paar Ohrfeigen von ihm kassiert haben. Dann hätten sich immer mehr Menschen um ihn herum versammelt. Die Situation sei bedrohlich gewesen. „Mich haben mehrere Personen gepackt. Ich habe große Angst verspürt, dass es kein Ende nimmt“, so der 22-Jährige.

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Als Ling-Ling ihn zur Seite nehmen will, um zu schlichten, sticht er zu. „Danach ist bei mir alles schwarz. Es war, als hätte ich die Kontrolle über meinen Körper verloren.“ Daran, das Messer eingesetzt zu haben, will er sich nicht mehr erinnern können. „Das ist alles komplett weg in meiner Erinnerung“, beschreibt er den Moment vor Gericht. Anschließend sei er weggerannt. Das Messer beseitigt er. „Ich war so erschrocken, dass ich es weggeworfen habe.“ Weil er ein „Rauschen im Ohr“ gehabt habe, sei er in eine Klinik gegangen. Dort habe er dann eine Schwester gebeten, die Polizei zu rufen.

Polizeibeamter spricht von panischen Menschenmassen vor dem Club

Freunde und Bekannte beschreiben Ling-Ling als stets fröhlich und freundlich
Das Opfer Ling-Ling wird nur 28 Jahre alt.
Jonathan F. Kromer, Jonathan F. Kromer

„Es waren Menschenmassen, panische Menschen“, schildert ein Beamter die Lage während des Prozesses. „Es war schnell zu erkennen, dass mindestens zwei Personen am Boden liegen und erstversorgt werden müssen“, führt er fort. Als der Polizist Ling-Lings Puls fühlt, ist der schon nicht mehr zu spüren. Zeugen hätten mit der Wiederbelebung angefangen – kurz darauf habe der Rettungsdienst übernommen. Doch für Ling-Ling kommt jede Hilfe zu spät.

Insgesamt soll 25 Tage verhandelt werden. Ein Urteil ist für den 07.10.2024 geplant. Francesco S. sitzt derweil in Haft. Einmal ist er bereits verlegt worden – „wie ich mitbekommen habe, wurde Kopfgeld auf mich ausgesetzt“, so der 22-Jährige.