Zwischen Freiheit und IdentitätskrisePlötzlich Rentner! Warum vor allem Männer unter dem Ruhestand leiden

Worried senior man sitting alone in his home
Jahrzehntelang gearbeitet - und dann plötzlich in Rente. Für viele Menschen stellt sich dann die Frage: Was definiert mich jetzt noch?
feliks szewczyk, iStockphoto

Ein Leben lang geschuftet – und dann endlich Zeit für sich!
Während die Rente für die einen die langersehnte Freiheit bedeutet, lässt sie andere in ein tiefes Loch fallen. Auch, weil man in der Regel im Übergang in den Ruhestand oft auf sich allein gestellt ist. Die Folge: Viele wissen ihren Alltag nicht mehr richtig zu gliedern. Dann landet man in einer Identitätskrise und stirbt laut Studien sogar früher. Wie geht es besser?

Warum fällt vielen der Übergang in die Rente so schwer?

39,3 Jahre arbeiten Menschen in Deutschland im Durchschnitt. Dass uns diese Jahre enorm prägen, ist verständlich. Fällt der Arbeitsalltag mit dem Eintritt in die Rente weg, kann das ein Loch in unser Leben reißen. „Viele Menschen identifizieren sich stark mit ihrer beruflichen Rolle“, erklärt Paar- und Familienberaterin Ruth Marquardt im RTL-Interview. „Der Renteneintritt bedeutet oft den Verlust dieser Identität, was zu einer emotionalen Belastung führen kann.“

Doch nicht nur der Verlust der beruflichen Identität kann zum Problem werden. Hat man nicht mehr täglich Kontakt zu seinen Arbeitskollegen, droht auch die soziale Isolation. „Der Arbeitsplatz ist nicht nur ein Ort der Produktivität, sondern oft auch ein soziales Netzwerk“, so die Expertin weiter. Vor allem, wenn die bisherigen Kollegen weiter berufstätig sind, kann man sich schnell isoliert fühlen.

Damit einher geht auch das Thema: Sinn des Lebens. „Wenn wir uns viel über Arbeit oder Kindererziehung, Haushalt oder Führungsaufgaben konzentriert haben, steht nun die Frage im Raum: Was macht mich aus als Mensch, wenn all das ‘erledigt’ ist. Wer bin ich noch?“

Oftmals schwierig ist auch der jetzt nicht mehr so strukturierte Alltag und die Frage: Wie organisiere ich nun mein Leben? Denn all die neugewonnene Zeit kann durchaus überfordernd sein – und schnell zu Langeweile oder Unzufriedenheit führen.

Weitere Probleme stellen eine mögliche finanzielle Unsicherheit dar sowie altersbedingte gesundheitliche Einschränkungen, die die Lebensqualität beeinträchtigen. „Dabei kann es sich um bislang verdrängte Symptome handeln, aber auch um psychosomatische Erkrankungen, da viele Menschen unter dem Wechsel aus aktivem Leben in die Rente leiden“, erklärt Marquardt.

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Welche Neu-Rentner kommen gut mit dem neuen Lebensabschnitt zurecht – und welche weniger gut?

Wie in so vielen Bereichen des Lebens gilt auch hier: Gute Vorbereitung ist alles!

„Wer finanziell abgesichert ist und sich in einem gesunden sozialen Gefüge befindet, also beispielsweise Kinder und Enkel hat, um die er oder sie sich kümmern kann, kommt oft leichter mit der Umstellung zurecht“, weiß die Expertin. Dann wird die freie Zeit auch als Möglichkeit erkannt, endlich das zu tun, was sonst zu kurz kam. Also zum Beispiel Hobbys und Interessen nachzugehen. Wer auch vor der Rente klare Hobbys hatte, hat es hier leichter.

Auch, wer über ein starkes soziales Netzwerk verfügt, hat es als Neu-Rentner einfacher. Dann bleibt endlich Zeit, Freunde häufiger zu treffen und gemeinsame Reisen oder Ausflüge zu genießen. „Wir sind soziale Wesen und brauchen in unserem Leben andere Menschen.“ Wer diese soziale Unterstützung auch beim Renteneintritt habe, ist meist glücklicher und ausgeglichener, fühle sich wertvoller und erfüllter.

Ebenfalls hilfreich: ein positives Mindset! „Eine positive Einstellung gegenüber dem Ruhestand, der Blick auf Chancen und Möglichkeiten und die innere Bereitschaft, neue Dinge zu entdecken, machen es vielen Menschen leichter, mit dem Wechsel in den neuen Lebensabschnitt klarzukommen“, so Marquardt.

Dabei hilft es auch, die eigene Gesundheit im Blick zu behalten. Denn: „Menschen, die sich gesund ernähren und körperlich aktiv bleiben, spüren das – sie erhalten sich Freude und Gesundheit in einem.“

Auch wer religiös oder spirituell interessiert ist, tut etwas Gutes für seine Seele. „Es ist in Ordnung, sich auch aktiv damit zu befassen, dass nun das letzte Drittel des Lebens angebrochen ist. Wie will ich meine Zeit nutzen, das Leben auskosten? Diesen Fragen positiv und der Lebenszeit mit Wertschätzung und Dankbarkeit zu begegnen, hilft vielen Menschen, das Alter mit Schwung, Sinnhaftigkeit und Dankbarkeit zu genießen“, weiß die Familienberaterin.

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Die Ergebnisse dieser Umfrage sind nicht repräsentativ.

Meist scheint es für Männer schwieriger zu sein. Warum ist das so?

Habt ihr Folgendes auch schon beobachtet? Während viele Frauen in der Rente die neugewonnene Zeit für Freundinnen, Enkel, Hobbys und soziales Engagement nutzen, wirken Männer oftmals etwas verloren angesichts der neuen Freizeit.

Natürlich lässt sich das nicht pauschal auf alle Menschen projizieren, dennoch neigen tendenziell Männer mehr dazu, ihre Identität stark mit ihrer beruflichen Rolle zu verknüpfen, weiß auch Marquardt. „Der Übergang in den Ruhestand bedeutet oft den Verlust dieser Identität, was zu einer tiefen Sinnkrise und innerer Unzufriedenheit führen kann.“ Die Folge ist die Frage nach der eigenen Identität: Wer bin ich ohne mein Firmenauto, meinen Firmenschlüssel und meine Rolle?

Hinzu kommt: Männern – vor allem in der aktuellen Rentnergeneration – fällt es schwerer, darüber zu sprechen, was sie emotional bewegt, machen Sorgen und Kummer lieber mit sich selbst aus. „Genau hier lauert die Falle“, warnt die Familienberaterin. „So ziehen sich viele Männer bei einem Gefühl von Trauer oder Einsamkeit eher zurück, werden frustriert, oder fallen in eine Form von sozialer Isolation.“ Zudem werden viele Männer im Ruhestand vermehrt mit gesundheitlichen Problemen konfrontiert.

Übrigens: Eine deutsch-spanische Studie aus dem Jahr 2023 zeigt, wer später in Rente geht, hat ein erhöhtes Sterberisiko – vor allem bei Menschen, die im Bausektor oder in Berufen mit hoher psychosozialer Belastung gearbeitet haben. Eine ältere Studie hat ergeben, dass Rentner früher sterben, wenn sie unglücklich sind.

So stellt sich natürlich niemand seine wohlverdiente Rente vor. Aber wie kann man es besser machen?

Worauf sollte man unbedingt achten, wenn man in die Rente geht?

  • Wie bereits erwähnt, zählt hier eine gute Vorbereitung!

Marquardt empfiehlt, sich schon frühzeitig Gedanken darüber zu machen, wie man seine neugewonnene freie Zeit künftig verbringen möchte. „Das kann ein soziales Engagement bei der Tafel sein, die Betreuung noch älterer Menschen in Altenheimen, der Kontakt zu Kindern in Schulen als Lesepartner und vieles mehr.“

  • Ebenfalls hilfreich: den Tag strukturieren!

„Legt fest, wann ihr aufsteht, welchen Aufgaben oder Hobbys ihr regelmäßig nachgeht. Findet Termine mit anderen Menschen und bewegt euch regelmäßig – gern auch in Sportgruppen.“

  • Hört nicht auf zu lernen!

„Fortbildungen können eine großartige Möglichkeit sein, sich wieder wach und gefordert zu fühlen“, weiß Marquardt. „Ich kenne zahlreiche Rentner und Rentnerinnen, die sich noch einmal an einer Universität eingeschrieben haben. Andere, die regelmäßig Kursangebote von Volkshochschulen annehmen.“

  • Gebt euch Zeit!

Sich mit seiner neuen Rolle zu identifizieren, ist nicht von heute auf morgen erledigt – und das ist völlig in Ordnung. Wichtig sei, offen für neue Erfahrungen zu bleiben, so die Expertin: „Seid liebevoll und geduldig mit euch selbst. Geht jeden Tag als neues Abenteuer an. Passt euch den Veränderungen an und nehmt diese als Teil eures individuellen Lebenswegs an. Erlaubt euch auch, ohne Druck neue Dinge auszuprobieren und lernt die positiven Aspekte dieses neuen Lebensabschnitts zu schätzen.“

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Im Video: Rente unter Palmen! Immer mehr Menschen genießen Ruhestand im Ausland

Wie findet man ein neues Hobby im Alter?

Dass man seinen Tagesablauf neu strukturieren sollte, ist nachvollziehbar – und manchmal leichter gesagt als getan. Denn: Wie findet man im Alter von 60 Jahren plötzlich ein neues Hobby oder eine neue Aufgabe für sich?

Marquardt rät:

  • Zuallererst: Überlegt euch, welche Interessen und Leidenschaften ihr habt! Was hat euch in der Vergangenheit Spaß gemacht? Welche Aktivitäten habt ihr schon immer ausprobieren wollen? Welchen Berufswunsch habt ihr nicht umgesetzt? Wolltet ihr als Kind Fotografin werden? Dann ist jetzt die Gelegenheit, das in Kursen umzusetzen!

  • Seid offen für neue Erfahrungen. Probiert Aktivitäten aus, die ihr bisher nicht in Betracht gezogen haben. Besucht Veranstaltungen, Workshops oder Kurse, um unterschiedliche Hobbys kennenzulernen.

  • Bittet Freunde, Familienmitglieder oder Bekannte um Vorschläge. Gemeinsame Hobbys können nicht nur neue Aktivitäten einführen, sondern auch soziale Bindungen stärken.

  • Denkt darüber nach, welche Aktivitäten zu eurer Persönlichkeit und euren Fähigkeiten passen. Ein Hobby sollte Spaß machen – und kein zusätzlicher Stressfaktor sein.

  • Schaut euch in sozialen Medien, Magazinen oder Büchern nach Inspiration um. Welche Hobbys haben andere Menschen und könnten diese auch für euch interessant sein?

  • Auch das Internet bietet zahlreiche Plattformen und Foren, auf denen ihr Informationen zu verschiedenen Hobbys finden könnt. Online-Kurse oder Tutorials können den Einstieg erleichtern.

  • Schaut euch in eurer Gemeinde nach lokalen Veranstaltungen und Treffpunkten um. Möglicherweise gibt es dort Gruppen oder Clubs, die sich mit verschiedenen Hobbys beschäftigen.

  • Selbstreflexion über Ziele: Überlegt euch, welche Ziele ihr mit einem neuen Hobby erreichen möchtet. Wollt ihr euch kreativ ausdrücken, fit bleiben oder einfach nur entspannen?

  • Startet klein: Es ist in Ordnung, klein anzufangen. Ihr müsst nicht gleichzeitig mehrere Hobbys ausprobieren. Beginnt mit einer Aktivität und probiert von dort aus Schritt für Schritt weiter, was zu euch passt.

  • Gebt euch Zeit, um euer neues Hobby zu entdecken und zu genießen. Es kann eine Weile dauern, bis ihr das perfekte Hobby für euch gefunden habt.

Übrigens: Nicht jedem fällt es leicht, sich ein neues Hobby oder eine neue Aufgabe zu suchen. Passende Hilfsangebote für Rentner können euch hier unterstützen. Wie ihr diese findet – und wie Kinder ihre Eltern beim Übergang in den Ruhestand unterstützen können, lest ihr hier.