Brutaler Cold Case aus Flensburg: Morder von Sylvia Diercks nimmt Teil ihres Arms mit
Im August 1994 wird die junge Prostituierte in ihrer Wohnung ermordet. Der Täter von Sylvia Diercks ist bis heute nicht gefasst.
Es ist ein drückend heißer Sommertag im August 1994: Sylvia Diercks arbeitet als Prostituierte in ihrer angemieteten Wohnung, sie telefoniert an jenem Nachmittag. Dann klingelt es bei ihr. In der Annahme es sei ein Kunde, wie jeder andere, öffnet sie die Tür. Es ist ihr Mörder. Mit einem Messer sticht er rund 30 mal auf die junge Frau ein, das werden später die Ermittlungen zeigen. Trotz der verzweifelten Schreie, die durch das Mietshaus hallen, ruft niemand den Notruf.
Und Anwohner hören auch ihre Schreie. Denn der 9. August ist ein heißer Sommertag, viele haben ihre Fenster und Balkontüren geöffnet. Und trotzdem wählte niemand den Notruf. Einige der Ohrenzeugen sagen später der Polizei, dass man dran gewöhnt sei, aus der Wohnung Stimmen und Geräusche zu hören.
Intro Tatort Nord
(Die Tat)
9. August 1994. Sylvia Diercks ist zum Tatzeitpunkt 25 Jahre alt. Die junge Frau hat zwei kleine Töchter, lebt und arbeitet in Flensburg. Die Lebensumstände von Sylvia Diercks sind schwierig, sie hat finanzielle Probleme.
"Die junge Frau ist Sexarbeiterin: Als „Mandy“ inseriert Sylvia Diercks damals in der Flensburger Wochenschau und in der Hamburger Morgenpost. Sie wirbt mit dem Hinweis „brandneu“, einem Herzchen und ihrer Telefonnummer um neue Freier. Und diese empfängt Sylvia Diercks in einer extra angemieteten Wohnung in der Bahnhofsstraße 50, direkt gegenüber vom Bahnhof. Außer ihr arbeiten auch noch andere Sexarbeiterinnnen in dem Mehrfamilienhaus.
Der Mörder von Sylvia Diercks geht äußerst brutal vor - nachdem er die junge Frau getötet hat, legt er sie ins Schlafzimmer, zieht ihr die blutige Kleidung aus - und nimmt diese dann mit. Doch das ist nicht das einzige Besondere an diesem Fall. Ich hätte gern persönlich mit der Polizei Flensburg auch darüber gesprochen - aber die zuständige Mordkommission gibt mir nur schriftlich Auskunft. Auch zu einem schrecklichen Detail.
"Denn der Täter schneidet ein Stück von Sylvia Diercks Unterarm heraus, so die Polizei Flensburg. Und er nimmt das Stück Gewebe auch mit. Warum er das macht, da kann man nur mutmaßen - ist es für den Täter vielleicht eine Trophäe? Eine Erinnerung an die Tat?"
Fest steht, dass der Täter unerkannt davon kommt.
(Die Ermittlungen)
Am nächsten Tag, dem 10. August, versucht ein Bekannter Sylvia zu erreichen, als das Telefon unbeantwortet bleibt, verschafft er sich über den Balkon Zugang zur Wohnung. Dort findet er Sylvias Leiche und alarmiert sofort die Polizei. Und was die Beamten in der Wohnung dann sehen, muss ein Ort des Grauens sein, fast überall ist Blut. Bei der genauen Untersuchung des Tatorts stoßen sie aber auf interessante Spuren:
Die Polizei findet nämlich diese Knöpfe und die sind vermutlich beim Kampf von der Bekleidung des Täters abgerissen worden, denn ein passendes Kleidungsstück können die Ermittler nicht in der Wohnung von Sylvia Diercks finden, wie mir die Polizei Flensburg mitteilt. Jahrelang untersucht die Polizei, wo diese Knöpfe herkommen könnten. Sie sind jedoch ein Massenprodukt.
Was die Polizei aber auch in der Wohnung findet: DNA-Spuren. Die Flensburger Mordkommission geht mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass es sich um die DNA des Täters handelt. Die Ermittler bitten über 250 Bekannte aus dem Umfeld von Sylvia um eine freiwillige Speichelprobe, ein Treffer ist allerdings nicht darunter.Wer ist dieser Mann, der Sylvia Diercks in ihrer Wohnung ermordet? Was ist sein Motiv? Um das näher herauszufinden lässt die Polizei Flensburg durch das LKA ein Täterprofil von einem Fallanalytiker erstellen.
Und die Fallanalytiker des Landeskriminalamts gehen davon aus, dass Sylvia Diercks ein Zufallsopfer war und der Täter aber gewusst hat, in welchen Wohnungen der Prostitution nachgegangen wurde.
Ich möchte noch mehr über so ein Täterprofil erfahren und treffe mich dafür mit Fallanalytiker Axel Petermann in Bremen. Er ist einer der bekanntesten deutschen Profiler. Ab 1999 baut er nach einer speziellen Ausbildung die Dienststelle „Operative Fallanalyse“ bei der Bremer Polizei auf und leitet sie bis zu seiner Pensionierung. im Jahr 2014. Sein Ansatz basiert auf der genauen Spurenauswertung am Tatort, der Rekonstruktion des Geschehens und der Analyse der Opferpersönlichkeit - Welche Einschätzungen hat er zum Täter von Sylvia Diercks – dem Mann, der sie mit rund 30 Messerstichen getötet hat?
"dann gehe ich davon aus, dass die Frau Widerstand geleistet hat, dass er wohl versucht hat, sie recht schnell mit dem Messer zu attackieren, dass sie sich gewehrt hat, dass er ihren Widerstand überwinden konnte. Aber mir fehlt quasi so der Zeitraum, was da im Einzelnen geschehen ist. Er hat ihre Kleidung möglicherweise zerschnitten oder ihr ausgezogen oder auf jeden Fall mitgenommen. Das könnte bedeuten, dass er quasi ein Souvenir oder eine Trophäe haben wollte.
Polizei und LKA gehen ja davon aus, dass Sylvia Diercks ein Zufallsopfer ist und dass der Täter weiß, in welchen Wohnungen Sexarbeiterinnen sind. Dafür spricht auch die Aussage einer Zeugin, die im selben Haus wie Sylvia als Prostituierte arbeitet und ein Jahr zuvor, also 1993, angegriffen wird:
Eine andere Frau, die ebenfalls Sexarbeiterin ist, wird damals direkt nach dem Öffnen der Wohnungstür angegriffen und nur durch das Eingreifen ihres Freundes gerettet: Denn der ist zufällig anwesend und kann hier Schlimmeres verhindern. Auffällig ist: Der Täter zieht sich damals unaufgefordert die Schuhe vor der Wohnungstür aus.
Doch an jenem Augusttag im Jahr 1994, als Sylvia Diercks umgebracht wird, ist sie allein in ihrer Wohnung. Ihr Mörder entkommt unerkannt, mitten am helllichten Tag. Eine Person könnte den Täter jedoch gesehen haben: Ein Taxifahrer sagt später gegenüber der Polizei aus, er habe in der Nähe des Bahnhofs einen Mann mit blutverschmierter Kleidung befördert. Auf Nachfrage habe dieser erklärt, er sei Fleischer. In Onlineforen für Kriminalfälle sorgt dieser Aspekt – und der gesamte Fall Sylvia Diercks – bis heute für zahlreiche Spekulationen und Diskussionen.
Beim Lesen der Foreneinträge bin ich über einen sehr spannenden Beitrag gestolpert und zwar schreibt eine Person:
Zitat:
"Ist "Fleischer" ein geläufiges Wort in Flensburg und Umgebung? Ich war mal in Thüringen und stolperte da mehrfach über die Verwendung des Wortes, da man "bei uns" eigentlich immer eher "Metzger" und "Metzgerei" verwendet.“
Ich, als Schleswig-Holsteinerin, würde sagen, dass Schlachter der gängige Begriff ist. Deswegen habe ich auch mal der Polizei Flensburg die Frage gestellt, inwiefern sie auf eine gewisse Herkunftsregion des Taxifahrgasts schließen.
Texttafel Anwort Flensburg:
"Wurde natürlich geprüft, erbrachte aber für die Ermittlungen bisher keine entscheidenden neuen Ansätze."
Der Mord an Sylvia Diercks - kein Einzelfall. Menschen und vor allem Frauen in der Sexarbeit sind Studien zufolge häufiger unterschiedlichen Gewaltformen ausgesetzt: Rassismus, Stigmatisierung oder auch Geschlechterungleichheit können Gewalt und Missbrauch begünstigen. Sexarbeitende werden von potentiellen Tätern zudem mitunter als "leichte Beute" angesehen, denn die wenigsten von ihnen bringen eine Gewalttat zur Anzeige, arbeiten teilweise im Verborgenen und – wie auch Sylvia Diercks – unter anderem Namen.
Wenn Sexarbeiterinnen Gewalt in jeglicher Form erfahren, finden sie Unterstützung bei spezialisierten Beratungsstellen wie Cara SH. Dort erhalten sie nicht nur Hilfe in Krisensituationen, sondern auch Beratung zu Themen wie Finanzen, Krankenversicherung oder möglichen Ein- und Ausstiegswegen aus der Sexarbeit.
im Bereich der Sexarbeit arbeiten sehr viele unterschiedlichste Menschen unterschiedlicher Geschlechter , unterschiedlicher Herkunft . Und damit gehen ja dann auch Diskriminierungen einher Rassismus , Sexismus//Und Sexarbeitende direkt , also aufgrund der Sexarbeit kommt vielleicht noch erschwerend hinzu , dass Menschen befürchten müssen , wenn sie sich mit den Gewalterfahrungen anstellen , wenden , wo sie Hilfe suchen , dass sie vielleicht aufgrund der Sexarbeit nicht gehört oder nicht ernst genommen werden."
Stichpunkt Stigmatisierung. Dazu gehören unter anderem Abwertung, Ausgrenzung oder auch Vorurteile gegenüber Prostituierten.
es lief ja auch so ab , dass zum Beispiel Nachbarn Geräusche gehört haben und die Polizei nicht eingeschaltet haben . Und das wäre natürlich die Frage , ob das vielleicht passiert ist . Auch , dass man weniger achtsam ist , weil man vielleicht denkt na ja , gut , okay , da geht eh jemand der Sexarbeit nach . Das ist ja normal , dass es da komische Geräusche gibt oder so und deswegen eben nicht die Polizei eingeschaltet hat . Genauso wäre die Frage . Da haben wir ja auch drüber diskutiert in der Beratungsstelle , inwiefern dieser Mord oder Morde an Sexarbeitenden generell als Femizide zu deuten sind."
Der Fall Sylvia Diercks macht deutlich, wie Vorurteile und Zuschreibungen dazu führen können, dass Warnsignale übersehen werden können, insbesondere wenn es um Frauen in der Sexarbeit geht.
(Der aktuelle Stand)
Sehr lange ist es ruhig um den Mordfall Sylvia Diercks aus dem Jahr 1994 in Flensburg. 2019 wird der Fall in der ZDF-Sendung Aktenzeichen XY vorgestellt. Nach der Sendung, auch wenn der Fall zu dem Zeitpunkt bereits 25 Jahre her ist, klingeln die Telefone bei den Ermittlern:
"Es gehen mehrere Hinweise und Zeugenaussagen ein, mehr als 200. Jedoch fehlt ein entscheidender Durchbruch. Der Fall bleibt einer der brutalsten und rätselhaftesten Morde im Rotlichtmilieu Norddeutschlands."
Und ist nach wie ungeklärt. Deswegen bitten die Polizei Flensburg und das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein weiterhin um Hinweise aus der Bevölkerung. Für die, die zum Täter führen, ist eine Belohnung von 3000 Euro ausgesetzt. Denn Mord verjährt nicht und schließlich besteht durch die DNA-Spur eine Chance, dass derjenige, zu dem diese gehört doch noch ermittelt wird und so der Mord an der 25-jährigen Sylvia Diercks doch noch aufgeklärt werden kann.