Kommt es jetzt zu einer Anklage?: Nach Hilferuf an RTL! Kind sagt in mutmaßlichem Missbrauchsfall aus
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Vier Mütter bitten RTL 2024 um Hilfe - ein Kita-Erzieher soll ihre Kinder sexuell missbraucht haben, aber niemand scheint ihnen zu glauben. Denn obwohl alle Kinder offenbar quasi identische sexuelle Übergriffe schildern, kommt es nicht zur Anklageerhebung. Weil die Kinder den sexuellen Missbrauch zwar ihren Eltern anvertraut hatten, sich aber bei der Befragung vor Gericht nicht trauten zu sprechen. Nun, ein Jahr später, kommt jedoch Bewegung in den Fall. Eines der Kinder hat nämlich beschlossen, auszusagen! Was das nun für eine mögliche Anklage bedeutet, erklärt RTL-Reporterin Ann Heigl im Video.
Alles beginnt mit diesem Hilferuf:
Es kam Post von der Staatsanwaltschaft. Bitte seinen Sie an unserer Seite, damit wir stärker sind.
Es sind 4 Kita-Mütter, die mich hier erneut um Unterstützung bitten. Unsere Kinder sind sexuell missbraucht worden. Von einem inzwischen entlassenen Kita-Erzieher, sagen sie.
Wir zeigen die Frauen nicht erkennbar, um ihre Kinder zu schützen. Vor einem Jahr waren ihr Frust und ihre Wut groß. Denn trotz der Schilderungen von mehreren Kindern wurde ein erstes Ermittlungsverfahren gegen den Erzieher eingestellt. Weil die Kinder den sexuellen Missbrauch zwar ihren Eltern anvertraut hatten, sich aber bei der Befragung vor Gericht nicht trauten zu sprechen. Jetzt hat ein weiterer betroffener Junge Mut gefasst.
„Tatsächlich ist jetzt die Situation, dass Ihr Kind explizit und mit Namensnennung gesagt hat, was passiert sein soll." „Er hat den Namen gesagt und genau was passiert ist, was er gemacht hat, wie er das gemacht hat. Er hat auch gesagt, dass er immer ganz lieb war, ganz viel mit ihm gespielt hat, aber wenn wir alleine waren, war er böse."
Um den Jungen zu schützen und die Ermittlungen nicht zu gefährden, gehen wir nicht auf Einzelheiten seiner Aussage ein. Nur so viel: Was der 6-Jährige beschreibt, reicht aus, um den Fall neu aufzurollen…
„Jetzt kam ja auch erste Post von der Staatsanwaltschaft. Was stand denn da drin?"
„Es wird mitgeteilt, dass ich mit Verfügung vom heutigen Tage die Ermittlungen wieder aufgenommen und die richterliche Videovernehmung beantragt habe."
„Gut. Das ist ja genau das, was wir angestrebt haben."
„Die Angst ist einfach, dass sie den Kindern wieder kein Glauben schenken."
Ich kann diese Angst nachvollziehen. Denn ich habe im Rahmen meiner Dreharbeiten für diese Geschichte miterlebt, wie wenig kindgerecht unser Justizsystem arbeitet. Ich treffe Damaris Fleige. Sie ist Richterin und hatte mir erklärt, wie Kinderbefragungen ablaufen. Auch kleinste Kinder werden in Deutschland quasi wie Erwachsene befragt - in den identischen Räumen.
„Das ist also unser Zimmer für die Vernehmung. Im Vordergrund standen erstmal die technischen Voraussetzungen. Es muss gut verständlich sein. Wir haben immer wieder mit dem Ton probiert. Deshalb ist auch nicht so viel hier drin, damit man das auch wirklich gut versteht."
Im Raum sind normalerweise neben dem Kind ein befragender Richter, ein Gutachter und ein Prozessbegleiter. Dass ein Elternteil dabei ist, kann sein, kann aber auch unterbunden werden. Eine der Mütter erzählt mir damals, wie sie die Befragung erlebt hat.
„In absolut fremder Umgebung, mit fremden Menschen in einem ganz kalten Raum, also nicht von der Temperatur her, sondern wirklich von der Gestaltung des Raumes her. Die Kleinsten mussten da Rede und Antwort stehen. Das war alles andere als kindgerecht."
Keines der befragten drei Kinder hatte damals vor Gericht das wiederholt, was es den Eltern gesagt hatte. Seit Beginn meiner Recherchen bin ich auch in Kontakt mit einer Kinderpsychologin - Dr. Anke Elisabeth Ballmann.
„Was brauchen denn Kita-Kinder für eine Umgebung, damit die Chance, dass sie sich öffnen, maximal ist?"
„Je jünger die Kinder sind, umso wichtiger ist es, dass der Raum, in dem sie befragt werden, dass der kindgerecht gestaltet ist. Man braucht wirklich eine Wohlfühlatmosphäre, um die Kinder zu befragen. Weil wenn da vier Erwachsene drin sind und eine Kamera und drei Legosteine, das hält kein dreijähriges Kind aus. Die Kinder haben Angst in dem Moment."
„Aus Ihrer Erfahrung, sowohl als ehemalige Kita-Leiterin als auch als Psychologin - wo siedeln Sie die Glaubwürdigkeit von Kinderaussagen an?"
„Ich sage, 3-Jährige Kinder können sich so was nicht ausdenken und denken sich das auch nicht aus. Natürlich sind Kinder phantasievoll in den magischen Phasen. Da geht es um Krokodile, die unterm Bett leben und die Dinge, die in einer Kinderwelt stattfinden. Aber jemand, der den Finger in den Popo eines Kindes steckt, das findet nicht in deren Fantasie statt."
Durch meine Recherchen weiß ich, dass im Ausland solche Befragungen ganz anders ablaufen. Beispiel: Skandinavien! Dort sind sogenannte Barnahus, also Kinderhäuser, extra für kindliche Bedürfnisse eingerichtet- um dabei zu helfen, dass Kinder-Zeugen sich öffnen können.
Jetzt gibt es eine neue Chance. Die Mütter hoffen, dass der Erzieher, der ihren Kindern das angetan haben soll, endlich verurteilt wird. Ich möchte helfen dabei, dass diesmal alles kindgerechter abläuft.
„Es ist schön zu wissen, dass Sie immer noch da sind und den Weg mit uns gehen, weil sonst wär man tatsächlich sehr, sehr allein. Das ist so. Ja."
Doch dann gibt es zunächst einen weiteren Rückschlag – und der hat es in sich. Es dauert zwei Monate, bis das Gericht einen Vernehmungs-Termin festlegt – und der soll erst in weiteren fünf Monaten stattfinden. Aus Sicht von Kinderpsychologin Anke Elisabeth Ballmann eine Katastrophe.
„Sie schreibt - ein Kind, das sich offenbart, geht oft davon aus, dass jetzt „etwas passiert“. Bleibt eine Reaktion aus, kann das zur Retraumatisierung führen – durch das Gefühl, wieder nicht gehört oder geschützt zu werden. Deshalb sei eine schnelle Befragung jetzt extrem wichtig."
Ich frage bei Gericht nach, ob das Verfahren in diesem Fall nicht doch beschleunigt werden kann. Die Antwort darauf gebe ich an die Mütter weiter.
Tatsächlich kann die Mutter die Terminfindung nicht beeinflussen.
„Ich bin wirklich geschockt. Das fühlt sich so ein bisschen an, als ob uns wieder Steine in den Weg gelegt werden."
Aber zusammen mit der Anwältin und der Mutter des Jungen entsteht die Idee für eine, sagen wir mal „Abkürzung“. Und dann geht plötzlich alles ganz schnell.
Ich bin auf dem Weg zur Mutter des betroffenen Jungen. Sie möchte sich persönlich treffen mit mir treffen. Und nur so viel vorab: Diesmal sind es gute Nachrichten
„Denn es gibt eine neue, eine schnelle Lösung. Zwar nicht mit dem Gericht, aber bei der Polizei. Die haben innerhalb weniger Tage möglich gemacht, dass ein Videobefragungstermin stattfindet. Gestern war es so weit, der Junge wurde befragt, ich bin jetzt auf dem Weg zur Mutter um zu hören, ob der Ablauf tatsächlich so kindgerecht gestaltet war, wie mir das die Polizei im Vorfeld versichert hat.
Eine Wiederaufnahme des Missbrauch-Verfahrens ist nur möglich, wenn ein Opfer Täter und Tat klar benennt. Und zwar bei einer befragenden Behörde. Und tatsächlich - ihr Sohn habe sich geöffnet bei der Polizei und auch über intime Details gesprochen, erzählt mir die Mutter.
„Die Befragung selbst vom Vorgehen - war das zugewandt, hat sich Ihr Sohn da einigermaßen aufgehoben gefühlt?"
„Ja, tatsächlich, zum Schluss hat er die Beine über die Lehne geschmissen und mit dem, was er da mit genommen hatte gespielt. Er hat gut gesprochen, deutlich gesprochen, unmissverständlich gesagt, was er da mitmachen musste."
„Ist das auch was, wo Sie das Gefühl haben, hier kommt nochmal mehr in Gang?"
„Ich hab tatsächlich große Hoffnung, dass wir dieses Mal mehr erreichen als bei den anderen. Die Akten wurden eingefordert, man weiß, dass sie mit dabei sind. Ich hab gute Hoffnungen, dass wir dieses Mal mehr erreichen können."
Ich habe mich schon häufig gefragt, warum es offenbar so schwierig ist, mutmaßliche Pädophile in Deutschland zur Rechenschaft zu ziehen. Dieser Fall hat mir mögliche Gründe deutlich gemacht. Der beschuldigte Erzieher wollte sich übrigens nicht äußern. Aber jetzt stehen die Chancen gut, dass das Verfahren gegen ihn wieder aufgenommen wird.
Verwendete Quelle: eigene RTL-Recherche

