Die Musikbranche im Wandel?Ein Jahr nach dem Rammstein-Skandal - was bisher geschah und was nicht

Same same but different?
Vor einem Jahr werden Rammstein-Sänger Till Lindemann sexuelle Übergriffe auf junge Frauen vorgeworfen. Inzwischen sind die Ermittlungen eingestellt, die Band tourt wieder. Anders als in der Filmbranche gibt es in der Musikindustrie kaum Veränderungen im Verhältnis zwischen Stars und Groupies.
Musikbranche sei noch immer „eine enge, kleine und von Abhängigkeitsverhältnissen geprägte Branche“
Ein Jahr, nachdem Vorwürfe von Machtmissbrauch und mutmaßlichen sexuellen Übergriffen gegen Rammstein-Frontmann Till Lindemann publik wurden, hat sich einem Medienbericht zufolge an den Machtstrukturen im Musikbusiness nichts geändert. Der Buchautor Daniel Drepper sagte dem Stern, die Musikbranche sei noch immer „eine enge, kleine und von Abhängigkeitsverhältnissen geprägte Branche, von wenigen Unternehmen dominiert, in der das Private und das Berufliche oft verschwimmen“.
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Drepper hat zusammen mit Lena Kampf das Buch „Row Zero - Gewalt und Missbrauch in der Musikindustrie“ geschrieben, das in der kommenden Woche im Eichborn-Verlag erscheint. Das Buch wirft dem Verlag zufolge einen umfassenden Blick auf die strukturellen Probleme der Musikbranche, die das System Lindemann erst möglich gemacht haben sollen. Der Buchtitel „Row Zero“ bezieht sich auf die vorderste Reihe bei Rammstein-Konzerten, aus der angeblich Frauen „rekrutiert“ wurden.
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Neues Buch beschreibt lange Geschichte des Groupietums
Im vergangenen Jahr hatten mehrere Frauen, zum Teil anonym, Vorwürfe gegen Lindemann erhoben. Dem Sänger sollen über ein ausgeklügeltes Castingsystem Frauen zum Sex zugeführt worden sein, manche schwer betrunken. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat inzwischen das Ermittlungsverfahren „wegen des Verdachts der Begehung von Sexualdelikten wie auch Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz“ insgesamt eingestellt.
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Kampf und Drepper haben für ihr Buch und einen Podcast Interviews mit 200 Betroffenen geführt und mit Musikmanagern und Aktivistinnen gesprochen. „Während dieser Gespräche haben wir erst verstanden, wie anders diese Welt funktioniert“, so Drepper gegenüber dem Stern. Im Buch werde die lange Geschichte des Groupietums und eine über die Jahrzehnte gewachsenen Kultur beschrieben, in der es als glanzvoll galt, als Rockstar möglichst viele Mädchen ins Bett zu bekommen.
Was hat die Musikbranche aus den #MeToo-Affären gelernt?
„Egal, ob jemand Kuschelrock macht oder Gangsta-Rap, die Dynamiken von Ruhm und Berühmtheit sind ähnlich und funktionieren gleich“, so Kampf im Stern. „Sobald man aufsteigt, Erfolg hat und für die Industrie Geld verdient, wird einem kaum noch eine Grenze gesetzt.“ Gleichzeitig gebe es für Fans, die den Musikern begegnen, einen kaum aufzulösenden Zwiespalt, zwischen „dem Gefühl, die beste Party mit ihrem Idol zu erleben, gleichzeitig aber der Möglichkeit ungewollter Grenzüberschreitungen“.
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Eine bekannte deutsche Sängerin, die nicht namentlich genannt werden möchte, sagte dem Magazin: „Ich habe leider den Eindruck, dass die Musikbranche am allerwenigsten aus ihren #MeToo- Affären gelernt hat.“ Obwohl man sich „weltoffen, cool und progressiv“ gebe, verhalte sich die Musikindustrie oft besonders uneinsichtig und unbeweglich, sobald die Kritik sie selbst und ihre Stars treffe. Anders als beispielsweise im Filmbusiness gälten Menschen, die sich an die Öffentlichkeit wenden, als Verräter. Sie verstießen demnach gegen das unausgesprochene Verbot, dass alles, was backstage geschieht, dort zu bleiben habe.
Ist ein Verhaltenskodex nun die Lösung?
Im Juni wollen die Mitglieder des Deutschen Kulturrates einen gemeinsamen Verhaltenskodex beschließen, wie er in den meisten Firmen und Konzernen, auch in vielen des Kulturbereiches, längst üblich ist. Außerdem soll es eine übergreifende Beratungsstelle geben, an die sich jede und jeder anonym wenden könne. „Es muss endlich verstanden werden, dass es nicht zu den Aufgaben eines Tourmanagers gehören darf, seinen Musikern junge Groupies zuzuführen, um Sex zu haben, selbst wenn das einvernehmlich geschieht“, zitiert der Stern den Geschäftsführer des Kulturrates, Tim Zimmermann.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die früher Managerin der Band Ton Steine Scherben war, kündigte an, man wolle genau beobachten, welche „Wirkung dieser Code of Conduct in der Praxis entfaltet“. (n-tv.de/sba)
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst bei n-tv.de.