„Wir blickten gegenseitig auf unsere Teller“
Biathlon-Star packt über Magersucht aus

Ihr größter Konkurrent war der Hunger!
Als erfolgreiche Biathletin kämpft sie nicht nur gegen ihre Konkurrentinnen. Im Weltcup und bei Olympischen Spielen war der eigene Körper der größte Feind von Selina Gasparin (32). Die Schweizerin spricht offen über ihre Essstörung.
Elisa Gasparin: „Wer isst wann, was und wie viel?“
Die Teilnahme an Olympischen Spielen ist eine der größten Erlebnisse für Sportler. Für Biathletin Selina Gasparin war allerdings schon der Weg dorthin eine Tortur. Als „richtig schlimm“, bezeichnet die Schweizerin gegenüber der Aargauer Zeitung die Vorbereitung auf die Spiele im russischen Sotschi 2014.
Was war passiert? Im Schweizer Team ging es demnach darum, wer am wenigstens isst. „Wir blickten gegenseitig auf unsere Teller: Wer isst wann, was und wie viel? Quasi ein Wettbewerb, dass ich weniger auf dem Teller habe als du“, schildert die 32-Jährige die Situation.
Es ging um Minimierung der Essenszufuhr
Und diese Situation machte sie fertig. Gefühlt 24 Stunden ging es nur um die Minimierung der Essenszufuhr. „Immer mit dem Ziel, noch mehr zu minimieren“, um das eigene Gewicht möglichst niedrig zu halten. Ein Teil der Erfolgsformel bei Biathlon: Weniger Gewicht gleich weniger Kraftaufwand.
„Wenn ich im Training Hunger bekam, dachte ich, eigentlich müsste ich jetzt essen, aber ich will nicht“, erklärt Gasparin. Ein Teufelskreis.
Wendepunkt in Mexiko
Sie konnte die Leistung nicht so bringen, wie sie gefordert war. Zur körperlichen Qual kamen unweigerlich auch seelische. Die mündeten 2015 in einer totalen Erschöpfung während eines Trainingslagers. „Ich brauchte eine Stunde, um überhaupt genügend Energie zu finden, es ins Badezimmer zu schaffen“, beschreibt Gasparin den Tiefpunkt ihrer Essstörung.
Sie nahm sich eine Auszeit, die ein Wendepunkt darstellte. Auf einer Reise nach Mexiko nahm sie sich vor, möglichst viel Gewicht zuzulegen. So lernte sie, „dass der Hunger dein größter Freund ist“.
Am Ende holt sie sich professionelle Hilfe
Zurück in der Heimat nahm sie die professionelle Hilfe eines Instituts für Ernährungsdiagnostik an. „Ich habe es innerhalb von wenigen Monaten geschafft, vom Zustand, wo ich 24 Stunden nur ans Essen dachte, in einen Alltag zu kommen, wo ich am Abend nicht mehr weiß, was ich am Morgen gegessen habe“, erzählt Gasparin stolz.
Lese-Tipp: Todes-Drama um Marathon-Star
Damals, in Sotschi, sprintete sie auf Rang 8. Auch wenn es heute meistens nicht mehr für die vorderen Plätze im Weltcup reicht, so gibt es doch Wichtigeres im Leben als sportlichen Erfolg. (nie)