"Herbert Gehrmann hat sich an uns gewandt und braucht unsere Hilfe, denn er und 25 weitere Mietparteien, die hier in diesem Haus in Nettetal wohnen, die stehen seit Wochen ohne allgemeinen Strom, Heizung und zeitweise sogar ohne Wasser da. Und das alles offenbar, weil der Vermieter die gezahlten Nebenkosten nicht an die Versorger weitergibt. Ich bin jetzt hier und möchte versuchen, zu helfen."
Herbert und Mia Gehrmann leben hier seit 26 Jahren. Bis 2019 habe es mit Hausverwaltung und Vermieter nie Ärger gegeben – bis das Wohnobjekt dann an einen neuen Eigentümer verkauft wurde. Seitdem kommt es immer wieder zu Problemen mit unbezahlten Rechnungen bei den Stadtwerken, weshalb die nun fast alles abgeklemmt haben.
"Licht im Treppenhaus. Licht im Keller. Licht in der Tiefgarage. Wir haben keine Heizung. Wir haben keine funktionierende Klingel. Wir haben keine funktionierende Gegensprechanlage und die Haustüre steht notgedrungen Tag und Nacht offen."
Herbert Gehrmann zeigt mir seinen Stapel an Unterlagen: Schriftverkehr mit den Stadtwerken, eine Auflistung der offenen Schulden, die nun die Mieter begleichen sollen:
"Wir reden ja hier tatsächlich von einer Summe. Das steht ja auch hier im Brief. Ja, das sind 25.747 Euro und der laufende monatliche Abschlag in Höhe von knapp viereinhalbtausend Euro" – "Sind 30.000 Euro, die die haben wollen. Ansonsten passiert null."
"Also jetzt nur ein Vorschlag von mir, den man machen könnte, dass man also sagt okay, jede Mietpartei hat 200 Euro im Monat, sind 5.000 Euro im Monat" – "Aber dann zahlen sie ja doppelt, Herr Germann, weil die Kosten, die hier offen sind, die haben Sie ja schon durch ihre Nebenkosten gezahlt." – "Ja, was bleibt uns denn anderes übrig?"
Ich bin geschockt über die verzweifelte Situation und kann den Ärger von Herbert Gehrmann nachvollziehen. Vor einigen Wochen kommt es sogar so weit, dass die Stadtwerke Nettetal den Mietparteien das Wasser abklemmen.
"Wir sind dann in die Geschäfte gegangen und haben den Kanister mit Wasser gekauft. Und dann haben wir den bei Familie und Freunden. Und Bekannte haben uns dann notgedrungen geduscht. (...) Ansonsten ging hier gar nichts."
Und auch heute weiß der Rentner, sich selbst zu helfen. Gemeinsam mit seinen Nachbarn zahlt er seit Mai den monatlichen Abschlag von Nebenkosten und Wasser direkt an die Stadtwerke. Die Mietzahlung begrenzen die Mietparteien außerdem auf einen Euro im Monat.
Aus eigener Kasse bringt er ein Treppenhauslicht mit Bewegungsmelder an, denn die eigentlichen Lichtschalter und die Deckenlampe – tot. In den Keller und die Tiefgarage geht es für uns nur mit Taschenlampe, auch hier bleibt es dunkel. Doch der fehlende Allgemeinstrom hat auch andere Folgen:
"Und hier stehen die gelben Tonnen und die blauen Tonnen, die werden im Moment nicht rausgestellt, weil man hier unten nichts sieht." – "Aber das ist ja auch ein Zustand, der so nicht bleiben kann. Ja, der Müll muss ja raus." – "Die Ratten freuen sich ja."
Die Mieter fühlen sich im Stich gelassen, nicht nur von der Hausverwaltung und dem Vermieter, sondern auch von den Stadtwerken.
"Zahlen oder abklemmen? Wir werden regelrecht erpresst.“
Ich will Hausverwaltung und Vermieter damit noch konfrontieren, nur wird das schwieriger als gedacht. Erstmal bekomme ich eine recht kurze Antwort der Stadtwerke:
"Sehr gerne hätte ich die Stadtwerke Nettetal persönlich gefragt, wie man in diesem Fall weiter vorgehen kann. Schriftlich bestätigt man mir, dass man im Austausch mit den Mietparteien sei, um gemeinsam Lösungen zu finden. Wie konkret diese Lösungen aussehen könnten, dazu möchte man leider keine Stellung beziehen."
Veruntreute Nebenkosten – Nettetal ist bei weitem kein Einzelfall. Uns erreicht auch Zuschauerpost aus dem baden-württembergischen Mosbach. Hier wohnt Ludwig Riegel mit seiner Frau Mia, auch bei Ihnen bleibt seit März das Treppenhaus dunkel und die Heizung kalt. Genau wie bei seinen 30 Nachbarparteien – und das, weil der Eigentümer die gezahlten Nebenkosten nicht an den Versorger weitergibt. Der und die Hausverwaltung stellen sich tot, erzählt er mir.
"Er bekommt Nebenkosten von über 30 Parteien hier im Haus. Und er steckt die ein und bezahlt es nicht. Das kann ich nicht verstehen."
"Man wird von dem Vermieter als Dreck behandelt."
Ich möchte Antworten erhalten und mache mich auf die Suche nach der Hausverwaltung des Wohnobjektes. Dabei komme ich bei einer Firma mit Sitz in Leipzig raus. Auf meine Fragen antwortet man mir:
"Die von Ihnen angesprochenen Punkte (...) prüfen wir derzeit sorgfältig. (...) Sollte es in Einzelfällen zu Kommunikationsschwierigkeiten gekommen sein, bedauern wir dies ausdrücklich und arbeiten an Verbesserungen. (...)“
Wenige Tage nach unserem Dreh schreibt Ludwig Riegel mir, dass das Licht im Treppenhaus inzwischen wieder angestellt wurde. Auch die Stadtwerke Mosbach bestätigen mir, dass die Forderungen zum Allgemeinstrom zwischenzeitlich beglichen wurden. Doch die Heizung bleibt weiter kalt, weil diese Forderungen noch nicht beglichen worden sind. Ludwig Riegel ist skeptisch, dass der Vermieter die Schulden zeitnahe tilgen wird.
Zurück nach Nettetal und dem Ehepaar Gehrmann. Herberts Frau Mia sehe ich an, wie sehr sie die ganze Wohnsituation belastet. Die chronisch kranke Rentnerin leidet sehr unter der Ungewissheit und der Gefahr, ihre bezahlbare Wohnung irgendwann verlieren zu können.
"Es macht einen kaputt. Guck mal, man kann nicht richtig schlafen. Und wenn, dann? Dann überlegt man."
"Nicht gut. Ich habe das Gefühl, die lassen uns im Stich."
"Natürlich möchte ich auch gerne mit dem Vermieter sprechen und ihn fragen, warum er die Nebenkosten einfach nicht zahlt. Doch an den Namen der Person heranzukommen, ist ganz schön schwierig. Denn weder die Mieter wissen, wie der Vermieter heißt, noch möchte die Hausverwaltung Auskunft geben. Und genau deshalb habe ich jetzt einen Auszug aus dem Grundbucheintrag angefordert. Und den hole ich jetzt hier am Amtsgericht einmal ab."
Auch Herbert Gehrmann hat schon mehrfach versucht, den Vermieter rauszukriegen. Der Auszug sei ihm aber verwehrt worden, sagt er. Mit der Begründung: fehlendes berechtigtes Interesse. Ich als Journalist scheine dort bessere Karten gehabt zu haben. Dabei stoße ich auf ein großes Firmengeflecht rund um einen Geschäftsmann aus Köln. Ich konfrontiere ihn zunächst schriftlich und bin gespannt, ob und wenn ja, welche Antwort zurückkommen wird.
Im Nettetal sind aber nicht nur Mieter betroffen. Ich spreche auch mit Elman Ibadov in seinem Friseursalon, der sich direkt unten im Haus befindet.
"Ich denke, überlege, was kann man machen? Natürlich gibt es Möglichkeiten, aber natürlich wird teuer. Vielleicht mit dem Strom etwas heizen, das."
Als das Wasser abgestellt war, mussten seine Kunden die Toilette in der Dönerbude gegenüber nutzen, ohne den Service des Haare-Waschens fehlten ihm einige Umsätze.
"Ich hatte doppelt Probleme als Nachbarschaft. Weil ich wohne hier noch und laden hier und natürlich mit Kundschaft war Problem mit Geschäft."
Eine Lösung dieser Probleme sieht Marc Brucherseifer vom Mieterschutzbund Mönchengladbach erst einmal nicht. Er betreut die 26 Mietparteien in Nettetal seit Jahresbeginn. Ich möchte wissen, woher ein solches Verhalten der Vermieter kommt.
"Dass man schlichtweg sich verkalkuliert hat, verzockt hat, wie auch immer. Und dann werden irgendwo Löcher gestopft, wo es an anderer Stelle dann wieder fehlt. Und das ist dann quasi der Rattenschwanz. Das geht dann immer so weiter."
Auch einige Tage nach meinem Dreh in Nettetal habe ich vom Vermieter keine Antwort erhalten. Bei keiner seiner insgesamt 20 Firmen kann ich den Geschäftsführer erreichen. Da bleibt wohl nur der Rechtsweg: Herbert Gehrmann hat inzwischen Strafanzeige wegen Unterschlagung und Veruntreuung der Nebenkostenvorauszahlung erstattet. Immerhin: Die Stadtwerke wollen jetzt alle Wohnparteien an einen Tisch bringen. Denn auch in Nettetal macht die anstehende Heizperiode den Gehrmanns große Angst:
"Ja, da werden wir uns ja auf Deutsch gesagt den Hintern abfrieren und wenn die Wohnung nicht richtig geheizt wird. Endresultat wird dann wahrscheinlich Schimmel sein und irgendwann heißt es dann, das Gebäude ist unbewohnbar und dann werden wir hier rausmüssen. Was draußen am Wohnungsmarkt los ist, ist ja allgemein bekannt. Da werden wir denn da ins Leere laufen."
Im Haus kursiert das Gerücht, dass das gesamte Wohnobjekt sogar bald zwangsversteigert werden soll. Aber egal, was kommt: Herbert Gehrmann und die anderen Mieter wollen weiterkämpfen.