Die Oberschule am Hartmannplatz im sächsischen Chemnitz ist top modern: kleine Balkone vor den Klassenzimmern, ein Atrium und beim Sportplatz hat man sich auch nicht lumpen lassen. Nur eins fehlt hier und das sind Lehrer. Davon erzählt mir der 12-jährige Jonas, den ich nach dem auch heute kurzen Unterricht treffe.
Jonas, Schüler: „Wir hatten nur zwei Stunden…“
Unterrichtsausfall kennen ja viele Schüler und Eltern im ganzen Land, aber hier an der neu eröffneten Schule ist der Mangel an Lehrern gerade besonders gravierend. Der Schulleiter hat deshalb sogar einen Brief an die Eltern geschrieben – es ist ein Hilferuf.
Schreiben: „Aus dieser personellen Notlage heraus wird aus heutiger Sicht (…) davon auszugehen sein, dass Schülerinnen und Schüler (…) auch tageweise nicht beschult werden können.“
Selbst für Kinder und Jugendliche, die sich darüber normalerweise freuen, ist der Ausfall hier zu viel.
An der Schule habe ich mich auch mit zwei Müttern verabredet.
Die Kinder von Yvonne Romanowski und Franziska Weber gehen in die 5. Klasse. Um mir zu zeigen, was gerade alles ausfällt, haben sie einen Stundenplan mitgebracht.
Auf 13 Wochenstunden kommen die Kinder mit diesem Stundenplan, 30 müssten es sein – mehr als die Hälfte des Unterrichts fällt also aus. Und für Fächer wie Geografie, Ethik und teils Geschichte, Biologe sowie Physik scheint es gar keine Lehrer zu geben.
Was die Verantwortlichen dazu sagen, das will ich mir später anhören. Aber nicht nur hier in Sachsen, sondern bundesweit ist Unterrichtsausfall ein großes Problem. Laut Prognosen fehlen in den nächsten zwei Jahren in Deutschland 35.000 bis 40.000 Lehrer. Was das ganz praktisch bedeutet, will mir Schulleiter Frank Ahrens erklären. Etwa 10 Prozent des Unterrichts fällt bei ihm aus, schätzt er. Im Lehrerzimmer hängt der Plan, wie viele Stunden es heute sind.
Rund 500 Schüler werden hier an den Jenaplan-Schule in Thüringen unterrichtet, 50 Lehrer sind angestellt. Doch neue Bewerbungen bekommt Frank Ahrens kaum. Schuld sei auch die Politik, sagt er und fordert gegen den Mangel: mehr Lehrer ausbilden, ein schnelleres Studium und den Job attraktiver machen – etwa durch weniger Bürokratie.
Einiges wurde ja schon versucht: an Schulen können zum Beispiel Seiteneinsteiger ohne Lehramts-Studium unterrichten. Doch es ändert sich eben nichts grundlegend am Problem. Das erzählen uns auch viele Eltern, die uns nach einem Aufruf unter anderem auf der Punkt 12-Facebook-Seite schreiben oder eine Videonachricht schicken.
Facebook-Kommentare:
„Deutsch seit Beginn des Schuljahres nur Ausfall. Biologie wird nicht unterrichtet. Musik gibt's nicht. Direktor? Gibt's nicht. Der ist abgehauen.“
„Die Kinder haben einfach keine Lust mehr. Wer in der fünften Klasse auf dem Gymnasium schon gesagt bekommt, dass man das Abi nicht schafft, aufgrund der vielen Fehlstunden....“
Und ich lese auch von einer ziemlich ungewöhnlichen Idee gegen den Stundenausfall.
„Ich muss echt sagen unsere Oberschule hat dieses Problem genial gelöst. Ausfall wird mit Kurzplan gelöst, da geht die Stunde 30 Minuten.“
Ob das aber beim Lernen hilft – da bin ich skeptisch. Nicht abwarten, sondern etwas machen gegen den Mangel – das haben sie sich auch in Annaberg in Sachsen gedacht. Und so ist Mia Rieger an diesem Morgen nicht auf dem Weg zur Schule, sondern in ein Autohaus.
Mia ist 14 und sie hat neuerdings nur noch eine 4-Tage-Schulwoche, immer donnerstags arbeitet sie in der Werkstatt mit. Heute müssen Winterreifen vorbereitet werden, 6 Stunden Praxistag statt Ausfall.
An der Adam-Ries-Schule haben sie sich das Projekt ausgedacht. Schulleiterin Claudia Päckert, Schulassistentin Monika Schmieder und Praxisberater Jörg Nestler konnten 64 Firmen dafür gewinnen. 90 Schüler der 8. und 9. Klasse gehen seit September ein Mal pro Woche in eine Firma. Der wegen des Lehrermangels gekürzte Stundenplan wird auf 4 statt eben 5 Tage verteilt. Das Pensum für die Schüler steigt wieder.
Nur noch 4 Tage Unterricht pro Woche, da waren einige Eltern schon skeptisch, erzählt Schulleiterin Päckert. Aber am Ende habe sie das Konzept überzeugt.
Auch im örtlichen Krankenhaus helfen zwei Schülerinnen mit: Chiara und Cellina, beide 14. Ausbilderin Grit Vogel-Süß unterstützt das Projekt, sagt aber auch: wir bügeln aus, was die Politik versäumt hat.
Die Firmen können Auszubildende finden, Chiara und Cellina haben weniger Ausfall und sie sehen noch einen anderen Vorteil.
Und was in Sachsen ausprobiert wird ist längst kein Einzelfall – bundesweit testen Schulen gerade die 4-Tage-Woche. Doch was tun eigentlich die verantwortlichen Politiker? Christian Piwarz ist Kultusminister in Sachsen. Mehrfach haben wir ihn um ein Interview zum Thema gebeten – doch auf die Anfragen kommen nur Absagen. Also fahren wir zu einem Termin von ihm und fragen hier noch einmal nach.
Aber auch später gibt’s keine Antworten. Dabei ist dieses Thema Schülern, Eltern und auch Lehrern sehr wichtig. Wenigstens hat zuständige Schulamt nach unserem ersten Besuch etwas gegen den extremen Ausfall in Chemnitz getan. Von anderen Schulen wurden Lehrer abgezogen und hierhin geschickt. Yvonne Romanowski und Franziska Weber sind erleichtert, dass ihre Kinder jetzt einen fast normalen Stundenplan haben. Doch sie ahnen: der Lehrermangel wird sie und viele andere noch lange begleiten.