Ein blau-weiß gestreiftes Bade-Handtuch. Vier Paar Socken und mehrere Geschirrhandtücher. Es ist nicht viel, was mir Madlen Lutze heute zeigt. Aber dafür sind die Preise um so gesalzener.
Rund 70 Euro für ein Badetuch. Ich kann verstehen, dass Madlen Lutze an einen Abzocke denkt. Angeblich stammen die Sachen aus einer Blindenwerkstatt.
Das sind rund 16 Euro für ein Paar. Socken mit einer ähnlichen Qualität gibt es im Einzelhandel schon für weniger als die Hälfte. Madlens Mutter wird seit Monaten von einem Call-Center angerufen, dass behauptet für eine Behindertenwerkstatt zu arbeiten. Lange Zeit hat Madlen davon nichts mitbekommen. Denn ihre Mutter hat die eingekauften Sachen versteckt. Vermutlich aus Scham.
Wie werden die Textilien hergestellt? So wie auf den Etiketten behauptet, durch blinde Menschen - oder ist es billige Industrieware? Dieser Frage werde ich gleich noch nachgehen. Laut Gesetz muss Blindenware übrigens im Wesentlichen auch von Blinden hergestellt werden.
Schon vor ein paar Jahren hatte ich dank eines Informanten die Machenschaften einer Firma aufgedeckt, die das Mitleid der Menschen schamlos ausnutzte.
Undercover hatte ich mich damals in das Call-Center eingeschleust und den Betrug aufgedeckt. Auch in meinem aktuellen Fall werde ich wieder verdeckt ermitteln. Denn die Schilder mit dem Blindenzeichen sind leider keine Gewähr für Seriosität.
Das Logo ist seit einer Gesetzesänderung nicht mehr geschützt.
Mitleid erregen und an das Gewissen der potenziellen Opfer appellieren. Besonders empfänglich dafür sind ältere Menschen, so wie Madlens Mutter. Sie ist 78 Jahre alt, körperlich gebrechlich und der einzige Kontakt nach draußen, sind der Fernseher und das Telefon. Statistiken belegen: Einsame Menschen werden häufiger das Opfer von Betrügern. In diesem Fall offenbar mit der Mitleids-Masche.
Wann die ersten Anrufe kamen, weiß Renate Schau nicht mehr. Anfänglich, so erzählt sie mir, klingelte es einmal im Monat. Doch dann wurden die Abstände wohl immer kürzer und die Preise für die Produkte stiegen immer mehr. Als Renate Schau nichts mehr kaufen will, soll sich der Tonfall verändert haben
Mittlerweile legt Renata Schau nur noch auf.
Doch die Anrufe hören nicht auf. Im Gegenteil: die Abstände werden scheinbar immer kürzer.
Ich möchte für Madlen Lutze und ihrer Mutter erreichen, dass diese Anrufe endlich aufhören. Aber ich möchte auch herausfinden, was sich hinter der Blindenwerkstatt verbirgt.
Zurück in der Redaktion nehme ich die Firma unter die Lupe. Dass sie keinen guten Ruf genießt, sehe ich auf Google. Mangelhafte 2,6 Sterne sprechen für sich. Von unerwünschten, teil aggressiven Verkaufs-Anrufen, bis hin zu Betrugs-Warnungen reichen die Rezensionen.
Im Netz finde ich außerdem einen 100 Seiten großen Verkaufskatalog des Unternehmens. Auf mich wirkt das eher wie eine industrielle Produktion
Zur Erinnerung: Renate Schau soll offenbar erklärt worden sein, dass es sich um Handarbeit aus einer kleinen Blindenwerkstatt handele.
Ein Informant erzählt mir am Telefon, dass Holger S. der Inhaber der Blindenwerkstatt, an weiteren sogenannten „staatlich anerkannten“ Werkstätten in Deutschland beteiligt ist und darüber hinaus auch ein Call-Center betreibt. Und noch etwas Interessantes erfahre ich: Die Gewinnspanne soll beachtlich sein.
Ich frage mich, wenn das Call-Center die Hälfte des Verkaufspreises einstreicht, wie viel bleibt dann noch für die blinden Menschen übrig? Bei der Blindenwerkstatt handelt es sich, laut meinem Informanten, um ein gewöhnliches Unternehmen.
Noch am gleichen Tag fahre ich zur Firmenadresse.
Was ich sehe, erinnert mich eher an eine Industrieproduktion als an Handarbeit. Auf geschätzt 80 Metern befinden sich verschiedene Produktions-Maschinen. Die Webstühle scheinen vollautomatisch zu arbeiten.
Dann kommt mir ein Mann entgegen. Ich gebe vor Kunde zu sein. Wir kommen ins Gespräch.
Es überrascht mich ein wenig die ganzen Geräte. Weil man wohl am Telefon sagte, das wäre alles Handarbeit
„Na ja, Handarbeit ja, ich mein die Maschinen. Also, teilweise machen wir es auch mit der Hand. Wird auch zugeschnitten, aber sonst machen es nur die Maschinen.
Der Mann bestätigt mir noch, dass hier die Bade- und Geschirrtücher produziert werden.
Dann gehen wir nach draußen. Durch ein offenes Fenster sehe ich, wie eine Frau Etiketten an Socken annäht. Es sind die gleichen Etiketten, wie ich sie bei Renate Schau gesehen habe.
Drei von 50 Mitarbeitern. Da habe ich doch einige Fragen an die Geschäftsleitung. Doch die ist scheinbar im Urlaub und die Mitarbeiterin, die mir die Tür öffnet, reagiert auf meine eigentlich einfache Frage ziemlich zugeknöpft.
Immerhin verspricht mir die Frau dafür zu sorgen, dass Renate Schau nicht mehr von ihrem Call-Center behelligt wird.
Kurze Zeit später schreibt mir das Unternehmen noch:„Die von Ihnen erwähnte Kundin, Frau Renate Schau, ist von einem zwischengeschalteten Handelsvertreterpartner der Mandantschaft kontaktiert worden. Da es sich um selbstständige Handelsvertreter handelt, kann deren Verhalten nicht vollumfänglich kontrolliert werden.“
Die Geschirrtücher habe Frau Schau nicht dort gekauft. Bei allen anderen gekauften Artikeln sei die berechnete Arbeitsleistung branchenüblich. Die Schwerbehindertenquote in der Werkstatt liege bei mehr als 30 Prozent, das werde auch behördlich kontrolliert. Und: „Ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne Präjudiz wird Frau Schau der Kaufbetrag nach Rücksendung der Ware erstattet."
Ich spreche noch einmal mit Madlen Lutze und erzähle ihr von meinen Rechercheergebnissen und dass die Firma versprochen hat, ihre Mutter nicht mehr anzurufen.
Und sollte sich das Unternehmen nicht an seine Zusage halten, Renate Schau nicht mehr anzurufen, werde ich mich natürlich wieder einschalten. Und sollten Sie unerwünschte Verkaufsanrufe bekommen, melden Sie diese an die Bundesnetzagentur. Die sind nämlich verboten!