Jutta Stenzel, Rentnerin
"Ich war zurück von Berlin nach Hause und es kam ein Geisterfahrer. Und man realisiert es nicht . Ich habe immer gedacht: man erkennt es, wenn er kommt, aber mein letzter Gedanke, bevor dann die Lichter ausgingen war: Was hat der für komische Rückleuchten."
Es ist dieser eine Moment im Leben, der alles verändern kann. Jutta Stenzel erlebt ihn an einem Herbsttag vor 31 Jahren auf der Autobahn. Sie und ihr Sohn kommen schwer verletzt ins Krankenhaus.
"Die haben versucht mich wieder zusammenzubasteln , die Ärzte . Was auch erstmal zumindest so weit gelungen ist , dass ich wieder mit Gehhilfen laufen konnte . Aber im Laufe der Jahre greift eins ins andere."
Was folgt sind viele Operationen, die Ärzte probieren alles, um ihre Gehfähigkeit wieder herzustellen. Vor rund 10 Jahren soll dann ein neues Kniegelenk helfen, doch kurz vor der OP, als die Narkose gelegt wird, verändert ihr Leben für immer.
Jutta Stenzel,
Rentnerin
"Ich habe in meinem Leben noch nie so direkt , so ad-hoc so einen Schmerz gehabt . Der ging von den Haarspitzen bis zu den Füßen . Ich habe also relativ laut aufgeschrieben , wobei ich ja schon durch die Vorgeschichte einen Schmerz ertragen kann und habe ihn auch gebeten aufzuhören aufzuhören und das nicht zu tun . Ich will das nicht mehr , ich nehme lieber Medikamente und dann hat er mich sediert und dann war ich weg."
Direkt nach dem Aufwachen ist Jutta Stenzel klar, hier stimmt etwas nicht. Sie kann ihr Bein nicht bewegen, auch nach der Reha und etlichen Behandlungen kommt kein Gefühl zurück. Die 62-Jährige ist überzeugt: Bei der Betäubung ist etwas schief gelaufen. (hier habe ich mal eine Zeichnug bestellt, die das Geschehen im KH abbildet - weil wir hier keine Bilder haben)
Jutta Stenzel,
Rentnerin
"Das war ein 3/4 Jahr später , weil ich einfach immer dieses Gefühl habe: Du hast geschrien , du hast nein gesagt . Und was hat dem das Recht gegeben , weiter zu machen ? Ein Nein ist ein Nein . Das bringt man Kindern schon bei."
Acht Jahre kämpft Jutta Stenzel - am Ende gibt ihr das Gericht recht. Laut Urteil hat der Anästhesist einen groben Behandlungsfehler begangen und wird schuldig gesprochen. (hier habe ich mal eine Zeichnug bestellt, die das Geschehen im KH abbildet - weil wir hier keine Bilder haben) Er soll hat den Katheter nicht an, sondern in den Oberschenkelnerv eingeleitet haben. Dadurch sei laut Gutachten ein unwiederbringlicher Schaden an dem Nerv entstanden.Fast eine halbe Million Euro muss der Mediziner zahlen, praktizieren darf er weiterhin. Doch wie kann das sein?
Daniel Mahr, Rechtsanwalt für Medizinrecht, 12.48
"Berufsrechtliche Sanktionen spielen bei einem solch Arzt-Haftungsprozess erst mal keine Rolle. Es geht wirklich ganz klassisch ums Geld bei einem Arzt-Haftungs-Prozess - also, um Schmerzensgeld und Schadensersatz."
Jutta Stenzel benötigt fast das ganze Geld um ihr Haus behindertengerecht umzubauen - knapp 300.000 Euro kostest das Ganze. Außerdem kauft sie sich ein Auto, das sie trotz ihrer Behinderung fahren kann. Immer an ihrer Seite: Familie und Freunde.
Jutta Stenzel - unter Tränen, Rentnerin
Der Freundeskreis hat sich selektiert . Nach so einer Erkrankung aber sind ganz viele . Jetzt kommt ganz viele , auf die ich mich . Verlassen kann . Und ich glaube alleine , ohne Familie , ohne Freunde oder Menschen , die einem dann auch tragen , wenn es einem mies geht."
Neben ihren zwei Kindern unterstützt sie auch ihr Mann Herbert - verheiratet sind die beiden seit 39 Jahren.
Herbert Stenzel,Rentner
"Es hat sich verändert . Man muss ihr ein bisschen mehr Unterstützung geben . Siehst du ja und dann hat sich das jetzt eben so ergeben."
Mit ihrem Schicksal ist Jutta Stenzel nicht alleine, in Deutschland gibt es laut des Medizinischen Dienstes jährlich bis zu 14.000 Vorwürfe von Behandlungsfehlern - die Dunkelziffer ist deutlich höher.
Daniel Mahr, rechtsanwalt für Medizinrecht 1,18
"Das liegt daran, dass viele Fehler unendeckt bleiben, das liegt daran, dass viele Patien*innen gar nicht bemerkten, dass sie Opfer von Behanldungsfehlern geworden sind oder auch die Fehler, die sie erlitten haben, gar nicht in Zusammenhang mit dem ärztlichen Handeln bringen, sondern die gehen davon aus, dass das andere Ursachen hat."
Um mit all dem Geschehenen abzuschließen, verbrennt Jutta Stenzel nach dem Prozess alle Gerichts-Unterlagen, nur das Urteil behält sie. Doch, auch wenn sie ihr Recht bekommen hat, kann sie jemals verzeihen, was passiert ist?
Jutta Stenzel, Pastorin
"Verzeihen ja , aber vergessen nicht . Das ist ja noch mal was anderes . Ich glaube also für mich , wenn ich jetzt nur in dieser Wut leben würde oder vielleicht sogar im Hass."
Doch genau das will Jutta Stenzel nicht. Sie will ihr Leben leben, reist sogar mit ihrer Tochter nach Amerika und nimmt am Halbmarathon teil - trotz ihrer Behinderung. (Fotos liegen vor)
Auch im Alltag engagiert sich Jutta Stenzel, setzt sich für Barrierefreiheit und Inklusion vor allem in ihrem Wohnort Hagenburg ein.
Heiko Bothe, CDU, Bürgermeister Hagenburg
"Sie begleitet uns ja schon ein paar Jahre im Behindertenbeirat vom Landkreis und auch in unserer Samtgemeinde . Und immer wenn wir Fragen haben , wenn wir Sitzungen haben , wird sie dazu geladen und berät uns.
Denn nicht alles, was barrierefrei aussieht, ist es am Ende auch. Und generell wünscht sich Jutta Stenzel eigentlich nur drei Kleine Dinge, wenn es um den Umgang mit behinderten Menschen geht.
Jutta stenzel, Vorsitzende Kreisbehindertenrat
" Normalität , Bewusstsein , Empathie."
Am Ende des Drehtages kehrt Jutta Stenzel dann sogar noch einmal an den Ort zurück, wo alles begann.
Trotz all dem Erlebten merkt man auch hier: Ihren Optimismus lässt sie sich von nichts und niemandem nehmen.
Jutta Stenzel, Rentnerin
" Also erstmal bin ich dankbar , so wie es jetzt ist , durch mein Umfeld , durch meine ehrenamtliche Tätigkeit . Und nach vorne schaue ich mit den gleichen Menschen . Die mir auch ermöglicht haben , Reisen zu machen . Und ich wünschte mir , dass ich das Bewusstsein der Bevölkerung noch ändert , dass man einfach auch als Mensch wieder wahrgenommen wird und nicht als der Behinderte , der das Problem hat , dass man am liebsten gar nicht wahrnehmen möchte und schon gar nicht ansprechen möchte . Das wünschte ich mir . Weil das würde das den Betroffenen , aber ich glaube auch den Mitmenschen einfacher machen."
Denn am Ende sind wir alle Menschen, sagt sie - egal, ob mit oder ohne eine Behinderung.