Interview mit einem Stromhändler für Erneuerbare EnergienSo funktioniert die Strombörse - wie sicher sind wir vor einem Blackout und was ist mit unserem Strompreis?

Wie wird eigentlich der Strom in Leipzig gehandelt und was hat das mit meiner Stromrechnung zu tun?
Quadra Energy ist einer der größten Ökostromhändler Deutschlands. Das in Düsseldorf ansässige Unternehmen bündelt die Energie aus rund 5.000 Wind- und Solaranlagen zu einem „virtuellen Kraftwerk“ aus Erneuerbaren Energien. Den so produzierten Strom, der rund vier Millionen Haushalte versorgen kann, handelt Quadra Energy unter anderem an der Strombörse. Wie aber funktioniert die eigentlich? Dazu haben wir mit Geschäftsführer Dr. Thomas Krings gesprochen.
Erneuerbare Energien: Ohne Wind und Sonne schaffen wir es nicht

"Die Börse ist eine Art Ebay für Strom"

quadra thomas krings 3
Thomas Krings, Geschäftsführer von Quadra Energy

Frage: Herr Dr. Krings, Quadra Energy betreibt ein „virtuelles Kraftwerk“ mit grünem Strom. Wie funktioniert dieses Geschäftsmodell konkret?
Krings: Unser Ziel ist es, 100 Prozent grüne Energie, die in Wind- und Solarkraftwerken produziert wird, kostengünstig für private oder industrielle Abnehmer nutzbar zu machen. Wir fassen dazu Tausende dezentrale Erneuerbaren-Kraftwerke deutschlandweit zu einem einzigen virtuellen Kraftwerk zusammen, das die Grundlage für die Stromvermarktung bildet. Mittels künstlicher Intelligenz erarbeitet unser Team von Meteorologen und Data Scientists eigene Wetterprognosen, auf deren Basis die Stromproduktion für den nächsten Tag berechnet wird. Die zu erwartenden Strommengen verkaufen wir dann hauptsächlich an der Strombörse im „Day-Ahead“- Handel. Allerdings ist jede auch noch so gut berechnete Wetterprognose zu einem gewissen Grad ungenau. Unsere Vorhersagen sind zwar bis auf wenige Prozent Abweichung genau, die Realität wird aber dennoch von der Wettervorhersage abweichen, etwa bei einem schwer vorhersehbaren Gewitter, das durchzieht und lokal die Produktion von Wind- und Sonnenenergie verändert. Daher justieren wir die Stromvermarktung am sogenannten „Intraday-Markt“ nach, das heißt, dass wir Unterschiede zur Prognose durch Zukäufe oder Verkäufe ausgleichen. Doch in unseren Prognosen sind wir bei Quadra Energy schon extrem gut, sprich sehr präzise, wenn ich das so sagen darf.

Frage: Welche Aufgabe hat die Strombörse dabei?
Krings: Die Strombörse ist im Prinzip ein organisierter Marktplatz. Salopp formuliert könnte man sagen, dass die Börse eine Art Ebay für Strom darstellt. Nur dass es hier lediglich eine Ware gibt, also alle Anbieter und Interessenten handeln ein identisches Produkt. Wie an jeder Börse wird auch an der Strombörse der Preis durch Angebot und Nachfrage gebildet. Ein hohes Stromangebot sorgt zum Beispiel dafür, dass der Preis für diese Zeiten billiger ist. Die Strombörse bringt Angebot und Nachfrage immer so überein, dass sich der günstigste Strompreis einstellt. Dies geschieht jede Viertelstunde neu.

Strom der Zukunft: Welchen Beitrag leisten Batterien und auf was wir uns einstellen müssen

Der hohe Gaspreis nach dem russischen Einmarsch hatte nichts mit der Börse zu tun

Frage: Ist die Börse für Sie der ideale Marktplatz für Strom oder würden Sie sich Veränderungen wünschen?
Krings: An der Strombörse soll sich der aus volkswirtschaftlicher Sicht günstigste Strompreis einstellen. Der Marktplatz sorgt dafür, dass Käufer und Verkäufer große Mengen Strom quasi in Echtzeit anonym handeln können, rund um die Uhr und an allen Tagen des Jahres. Anbieter und Käufer agieren an der Strombörse nach strikten Regeln und mit standardisierten Produkten. Insofern halte ich die Strombörse als organisierten Marktplatz für Strom für durchaus zielführend.

Frage: 2022 haben infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine heftige Preisturbulenzen die Strombörse durcheinandergewirbelt. Bewährt sie sich auch in solchen Fällen als Marktplatz?
Krings: Dass sich im Zuge des Ukraine-Krieges so hohe Preise einstellten, hat wenig bis nichts mit dem Marktplatz selbst zu tun als vielmehr mit Angebot und Nachfrage. Wir hatten damals das Problem, dass der durch sehr teures Gas erzeugte Strom nach dem sogenannten Merit-Order-Prinzip preissetzend war. Der Strom aus Gaskraftwerken wurde aber benötigt, weil die anderen Kapazitäten nicht reichten. Hierin sehe ich jedoch kein Problem der Börse an sich, sondern die grundsätzliche Herausforderung, noch an zu vielen Tagen auf Gaskraftwerke angewiesen zu sein, um die Nachfrage zu decken.

Strom-Vision 2045: Bekommen wir den grünen Netzausbau hin?

Mit Erneuerbaren allein ist noch keine komplette Abdeckung möglich

quadra stromboerse handelsplatz 1
Der Handelsplatz von Quadra Energy in Düsseldorf

Frage: Es ist auch ein Ziel der Börse, die Erneuerbaren Energien einzuspeisen und die Fossilen aus dem Markt zu drängen. Klappt das?
Krings: Nur in Teilen. Die Politik in Deutschland zielt darauf ab, möglichst weitgehend auf eine erneuerbare Stromversorgung umzustellen. Aufgrund der Förderung der Erneuerbaren Energien kann grüner Strom sehr günstig an der Börse angeboten werden, sodass die damit teureren konventionellen Kraftwerke perspektivisch sukzessive aus dem Markt verdrängt werden. Doch da grüner Strom aus Windenergie oder Solaranlagen wetterbedingt und somit volatil produziert wird, ist damit keine hundertprozentige Abdeckung des Bedarfs möglich. Bislang bedarf es jedoch immer noch anderer Technologien, um einen gewissen wetterunabhängigen Sockel als Strom, die Grundlast eben, sicherzustellen.

Frage: Was soll und muss sich an unserem Strommarkt nach Ihrer Meinung verbessern?
Krings: Aus unserer Sicht stehen hier langfristig drei Themen im Fokus. Zum einen werden mehr Flexibilitäten benötigt. Das heißt, wir brauchen mehr Speichermöglichkeiten, wie zum Beispiel Batterien, um für windschwache und dunkle Tage möglichst grünen Strom speichern zu können. Zweitens ist über den traditionellen Begriff der Grundlastfähigkeit nachzudenken. In dem Zusammenhang geht es unter anderem auch um finanzielle Anreize, den privaten Verbrauch stärker auf Zeiten auszurichten, in denen Strom günstig ist. Etwa indem Strom an der heimischen Steckdose nicht zu jeder Stunde gleich kostet, sondern zum Beispiel tagsüber teurer ist als nachts. Grundlastfähigkeit bedeutet ja letztlich, Strom jederzeit zur Verfügung zu haben. Wir müssen daher Grundlast neu definieren und Flexibilität sowohl auf der Verbraucher- als auch auf der Produzentenseite schaffen.

Smart Grid: Wie intelligente Netze uns beim Strom sparen helfen

Stichwort "Blackout": Bisher hatten wir immer genug Strom zur Verfügung

Hochspannungsmast mit Schild und Aufschrift Blackout / action press
Droht in der Dunkelflaute ein Blackout? Es hat bisher noch keine Situation gegeben, in der die Stromproduktion zu gering war.
Import, action press, ActionPress

Frage: Wenn wir ein 100 Prozent grünes Energiesystem mit Erneuerbaren Energien wollen, sagen Sie, müssen wir Grundlast in Frage stellen und stattdessen mehr Flexibilität fördern…
Krings: Genau. Und drittens brauchen wir Kapazitätsmärkte. Was heißt das? Wir werden immer Gaskraftwerke benötigen, die bei „Dunkelflauten“ Strom produzieren und kurzfristig bereitstellen können. Bei derart eingeschränkten Laufzeiten lässt sich jedoch kein Gaskraftwerk wirtschaftlich betreiben. Also müssen für die Betreiber Anreize geschaffen werden, ihre Anlagen einfach nur einsatzbereit zu halten. Diese Kraftwerke können somit nicht für gelieferten Strom bezahlt werden, sondern für die Bereitstellung der Kapazität. Die kürzlich veröffentlichte Kraftwerksstrategie der Bundesregierung adressiert genau diese Punkte. Zu diesen drei Grundbausteinen kommt dann noch der Netzausbau hinzu.

Frage: Stichwort „blackout“. Haben wir in Deutschland eigentlich immer genug Strom zur Verfügung?
Krings: Es hat bisher noch keine Situation gegeben, in der die Stromproduktion zu gering war. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir nicht über einen rein deutschen Markt, sondern über einen europäischen Strommarktverbund reden. Wir können Strom aus unseren Nachbarländern beziehen und liefern zu anderen Zeiten große Mengen ins Ausland. Dies geschieht grundsätzlich nach vollkommen transparenten marktwirtschaftlichen Grundsätzen.

Frage: Kann man davon ausgehen, dass der Strom günstiger wird, je mehr grünen Strom wir einspeisen?
Krings: Den Strompreis bestimmen viele Faktoren. Gemessen an der jüngsten Energiepreiskrise dürfen wir davon ausgehen, dass die Preise sinken werden. Ich erwarte jedoch, dass der Strompreis im Vergleich zum Zeitpunkt vor der Krise teurer bleiben dürfte. Denn wir bewegen uns bei Wind-Onshore- und Solarenergie immer noch in einem subventionierten Markt. Und es gibt ein Förderregime zum Neubau von Erneuerbare Energien-Anlagen. Der Strompreis reicht also zurzeit noch nicht, um solche Anlagen wirtschaftlich zu betreiben. Aber Prognosen haben so ihre Tücken. Es bleibt spannend.

Dunkelflaute: Was ist das und droht sie uns wirklich?

Extremwetter in Deutschland - Die Doku im Online Stream auf RTL+

Streaming-Tipp: Klima-Rekorde – Ist Deutschland noch zu retten?

(osc)