"Hätte schon lange vor Tokio aufhören sollen"
Simone Biles: Olympia war ein Fehler!

Turnstar Simone Biles war die große Olympia-Goldhoffnung der USA, zog sich dann vor der Weltöffentlichkeit mit psychischen Probleme aus dem Wettkampf zurück. Jetzt spricht die Athletin bewegend über ihren Kampf gegen die Krankheit. Die Amerikanerin zieht eine ernüchternde Bilanz und meint: Sie hätte gar nicht nach Tokio reisen dürfen.
Probleme begannen schon vor langer Zeit
Simone Biles wählte drastische Worte, um ihre Zerrissenheit auszudrücken. "Wenn man sich ansieht, was ich in den letzten sieben Jahren alles durchgemacht habe, hätte ich nie wieder einem Olympiateam angehören dürfen. Ich hätte schon lange vor Tokio aufhören sollen", sagte die wohl beste Turnerin der Geschichte dem „New York Magazin“.
Der zeitweilige Rückzug der Topfavoritin bei den vergangenen Sommerspielen wegen mentaler Probleme hatte für weltweites Aufsehen gesorgt und kam für viele überraschend. Biles offenbarte nun, dass ihre mentalen Probleme schon vor langer Zeit begonnen haben.
"Es war zu viel", sagte die viermalige Olympiasiegerin mit Blick auf den Missbrauchsskandal um den ehemaligen US-Mannschaftsarzt Larry Nassar: "Aber ich wollte nicht zulassen, dass er mir etwas wegnimmt. Also habe ich das solange verdrängt, wie mein Geist und mein Körper es mir erlaubten."
Lesen Sie hier: Sportpsychologe über mentale Probleme von Spitzenathleten
Biles zog die Notbremse - "Wie soll ich weitermachen?"

In Tokio traf es den US-Superstar dann mit voller Wucht. Wegen einer mentalen Blockade bei Drehungen um die Längsachse sah die 24-Jährige keine andere Möglichkeit, als die Notbremse zu ziehen - und auf die Kritiker zu pfeifen.
Die Ausnahmeathletin aus Ohio galt vor Tokio als Kandidatin auf mehrere olympische Goldmedaillen. Doch nach ihrem Ausstieg beim Team-Finale hatte sie mentale Probleme öffentlich gemacht und danach auf mehrere Finalstarts verzichtet. Sie bekam anschließend viel Zuspruch. Die Bronzemedaille am Schwebebalken war für sie wie ein kleiner Triumph.
"Sagen wir, du hast bis 30 dein komplettes Augenlicht. Eines Morgens wachst du auf und kannst einen Scheißdreck sehen. Aber dir wird gesagt, du sollst normal weitermachen. Du wärst verloren, oder?", sagte Biles: "Ich habe 18 Jahre lang geturnt. Ich bin aufgewacht und habe es verloren. Wie soll ich weitermachen?"
Trotz ihrer verzweifelten Worte: Das Turnen hat die Rekordweltmeisterin noch nicht aufgegeben, derzeit tritt sie bei der "Gold over America"-Tour an. Parallel kämpft sie aber um ihre mentale Gesundheit - und wähnt sich in einem langen Prozess: "Daran werde ich wahrscheinlich 20 Jahre arbeiten." (msc/sid/dpa)