Mutter stirbt beim Club-Absturz auf Mallorca - das sagt ein Psychologe

Wie soll Thorsten T. seinen Kindern beibringen, dass Mama nicht mehr nach Hause kommt?

Teddy sitzt allein auf einer Bank
Wie reagieren Kinder auf den Tod eines Elternteils?
Christian Ohde / CHROMORANGE
von Gizem Schumann

Jessica und Thorsten T. aus dem Saarland wollten sich eine kleine Auszeit auf Mallorca gönnen und hatten die Kinder bei den Großeltern in Deutschland gelassen. Doch die schöne Zweisamkeit endete in einer Tragödie: Bei dem schrecklichen Club-Einsturz kam die zweifache Mama ums Leben. Der trauernde Ehemann musste allein zurück zu seiner Familie. Doch wie bringt ein Elternteil einen solchen Verlust den Kindern bei? RTL hat mit einem Psychologen über dieses sensible Thema gesprochen.

Nicht lügen! Kinder sollten immer die Wahrheit erfahren

Kinder können die Endgültigkeit des Todes noch nicht begreifen. „Trotzdem erklären Sie dem Kind in einer ruhigen, sicheren Atmosphäre mit ganz viel Zeit in einfachen Worten, was passiert ist: ‚Mutti war ja auf Mallorca und hatte dort einen schlimmen Unfall. Sie ist tot, das heißt sie kann nicht mehr gehen, reden, sehen, hören und essen. Deswegen kann sie auch nicht mehr zu uns zurückkommen‘“, erklärt Psychologe Michael Thiel im RTL-Interview. Das Elternteil soll das Kind beobachten und ihm genug Zeit geben, alle Gefühle auszuleben und alle Fragen zu klären, rät der Experte. „Bitte kindgerecht immer die Wahrheit sagen, nicht lügen! Und deutlich machen: ‚Für uns ist das Leben weiterhin sicher, ich bin immer für dich da!‘“

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Jessica und Thorsten reisten ohne die Kinder nach Mallorca.
Das Paar aus dem Saarland machte einen kleinen Ausflug nach Mallorca ohne die Kinder.
Privat

Der verletzte Thorsten hat das tragische Unglück zwar überlebt, doch die Lücke, die Jessica gerissen hat, ist eine klaffende Wunde. Seit Samstag ist er wieder in Deutschland. „Es geht ihm fürchterlich, er wird auch wegen seiner Kopfverletzungen im Krankenhaus St. Wendel behandelt, es ist alles eine einzige Katastrophe“, sagte sein Onkel zu RTL. Der Bruder ist bei Thorsten, um ihn zu unterstützen. Seine Schwiegermutter kümmert sich um die Kinder, die drei und sechs Jahre alt sind.

Kleine Kinder verstehen nicht die Endgültigkeit des Todes

Kinder reagieren unterschiedlich auf eine solche Nachricht – es kommt auch auf das Alter und das Temperament an. „Die Emotionspalette von Traurigkeit und Weinen über Schock und Unglaube bis hin zu Wut und Schuldgefühlen. Oft ziehen sie sich auch zurück oder brauchen mehr Kuscheleinheiten und Nähe“, weiß Michael Thiel. Kleine Kinder verstehen noch nicht, dass der Tod endgültig ist. In ihren Köpfen wacht die Mama, die „eingeschlafen“ ist, irgendwann wieder auf. Wenn der Papa „weggegangen“ ist, kommt er wieder. Der Psychologe rät daher zur Vorsicht bei solchen Aussagen.

Schulpflichtige Kinder hingegen verstehen den Tod schon eher und stellen auch dementsprechend Fragen. Manchmal fallen die Nachkommen aber auch in frühere Verhaltensweisen zurück. Sie nässen sich ein oder wollen nicht allein schlafen. „Letzteres ist vorübergehend und sollte erlaubt werden. Geben Sie Kindern Raum für kindgemäße Ausdrucksformen von Trauer: Malen, Spielen, Rollenspiele“, empfiehlt der Psychologe.

Routinen geben den Kindern Stabilität

Es sind unfassbare Szenen aus dem Medusa Beach Club auf Mallorca, die Thorsten T. in seinem ganzen Leben wohl nie wieder vergessen kann. Bei dem schrecklichen Einsturz der Dachterrasse hat er seine geliebte Frau verloren. Der Schock sitzt noch tief. Die gesamte Familie muss den schrecklichen Verlust jetzt gemeinsam verarbeiten. In solchen Fällen ist es wichtig, immer für die Kinder da zu sein – bei Bedarf mit ihnen zu reden, auch über den verstorbenen Elternteil.

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Die Kinder sollen sich immer sicher fühlen. „Auch Routinen geben Stabilität: In den Kindergarten oder zur Schule gehen, Hobbys nachgehen - wie sonst auch. Und immer wieder beobachten, was das Kind jetzt braucht, mit Geduld und Verständnis auf ‚Standby‘ stehen“, so der Psychologe. „Wenn es für Sie zu belastend werden sollte, sich Kinder womöglich selbst verletzen oder sich anders wehtun, verstummen oder übermäßig aggressiv werden, scheuen Sie sich nicht, psychologische Hilfe zu holen oder sich einer Trauergruppe anzuschließen.“

Psychologe Michael Thiel: Kinder brauchen auch „Erholungsoasen“ während Trauerphase

Das Wichtigste ist, dass die Familie gemeinsam trauert – das heißt, den Gefühlen freien Lauf zu lassen. Fotos und Videos kann das Elternteil gemeinsam mit den Kindern anschauen, Erinnerungen miteinander teilen, zusammen kuscheln.

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Achtung: „Kinder brauchen auch Orte, wo sie ‚normal‘ sein können, wo nicht getrauert wird, wo sie fröhlich mit anderen Kids spielen dürfen“, sagt Thiel im RTL-Interview. „Solche ‚Erholungsoasen‘ sind wichtig, um nicht von der Trauer überflutet zu werden. Das gilt auch für die Erwachsenen.“ Denn auch die können nicht immer stark sein und brauchen auch Unterstützung. Entweder durch Hilfe von einem Psychologen oder eben durch Angehörige, die immer da sein sollten – bei einem Hilferuf der trauernden Familie – ohne sich aufzudrängen. „Und seien Sie besonders für die Kinder als feinfühliger Gesprächs- und Spielpartner da. Aber scheuen Sie auch nicht, Ihre Tränen zu zeigen, gemeinsam mit dem Kind zu weinen“, gibt der Experte den Tipp an das Umfeld.

RTL spricht mit Psychologe Michael Thiel über ein sensibles Thema.
TV-Psychologe Michael Thiel über das Verhalten von Kindern bei Todesfällen in der Familie.
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„Trauerbewältigung dauert so lange, wie sie dauert und braucht keine Abkürzung.“ Doch wenn das Kind dann eben doch aus dem Trauerprozess nicht mehr herauskommt, hilft ein Anruf beim ärztlichen Notdienst nach einer zeitnahen psychologischen Unterstützung.