Wir können nicht ohne Schokolade leben - doch heißt es bald 'Bye bye, Schoki'?
Liebe Schoki – bald bist Du purer Luxus...
Sweety, bald heißt es Abschied nehmen! Die Kakaobohnen-Farmer können den Heißhunger der (reichen) Welt auf Süßes nicht mehr stillen. Der Grundstoff, aus dem Deine feine Textur gewoben ist, wird knapp. Und damit auch Du, Du Zartschmelzende. Schuld daran sind die üblichen Verdächtigen: Klimawandel, Spekulanten, selbsternannte Feinschmecker, die Chinesen, Ebola, wir selbst, weil wir zu viel von Dir naschen … und damit erst dafür sorgen, dass wir uns Sorgen um Deine Zukunft machen müssen. Dabei hast Du uns unser ganzes Leben begleitet. Als wir Dich damals im Italienurlaub im Handschuhfach vergessen haben, klebten Teile von Dir noch Monate in den Ritzen und im Straßenatlas. Als wir während der Abschlussprüfungen zu oft nach Dir gegriffen hatten, klebten Teile von Dir noch Jahre wie Blei an unseren Hüften. Und trotzdem: Wir lieben Dich.
Von: Ursula Willimsky
Und das zeigen wir Dir auch. Jeden Tag, wirklich jeden Tag, lassen wir 24 Gramm von Dir auf unserer Zunge zerschmelzen. Aufs Jahr gerechnet sind das elf Kilogramm – nur in der Schweiz schwelgen sie noch mehr in Deinem Genuss und verputzen pro Jahr und Kopf zwölf Kilo.
Anders, als wir das bei Menschen tun, akzeptieren wir Dich sogar in verschiedensten Erscheinungsformen: Als Osterhase, als Weihnachtsmann (allein von ihnen werden jedes Jahr unvorstellbare 100 Millionen Exemplare in Deutschland verkauft!), weiß, braun oder fast schwarz, in Pralinenform oder flachgepresst als Tafel.
Bisher konnten wir uns das auch leisten. Aber bald – so warnen uns die größten Schokoladen-Produzenten der Welt – wird sich das ändern. Laut Internationaler Kakao-Organisation ICCO steuert die Welt der Schokoholics auf die größte Knappheit seit 50 Jahren zu. Schon in diesem Jahr wurden 70.000 Tonnen mehr verputzt, als geerntet wurden. Bis zum Jahr 2020 (und das ist nicht mehr weit) werden eine Million Tonnen Kakaobohnen fehlen.
Weshalb Du, Du Seelentrösterin, vermutlich sehr, sehr teuer wirst: von zehn Euro pro Tafel wird da gemunkelt, oder von der figurfreundlicheren Variante, die einfach nur die Packungsgrößen bei gleichem Preis schmelzen lässt. Horrorszenarien steigen da im bisher eher überzuckerten Gehirn auf: von permanenter Unterzuckerung, die sich nur widerwillig mit Ersatzstoffen wie Karamell oder Marzipan bekämpfen lässt. Von Familien, die gemeinsam an einem Rippchen Vollmilchschokolade nagen. Von billiger Pseudo-Schoki, deren Zutatenliste man lieber nicht so genau durchliest.
Dabei sind wir doch Dich gewohnt, mit Deinem Stil und Deinem Niveau und Deinem Geschmack. Deine bloße Anwesenheit hat uns immer wieder davon überzeugt, dass moderne Frauen es nicht nötig haben, sich irgendwelchen Schlankheitsidealen zu beugen. Wegen Deiner daraus resultierenden Abwesenheit sind wir für Dich auch nachts noch kilometerweit bis zur der Tankstelle mit Spätöffnung gelaufen. Wir sind für Dich zu Dieben im eigenen Haus geworden (zumindest solange, bis wir das elterliche Haus verlassen und nicht mehr von Mamas Süßigkeiten-Zuteilung abhängig waren). Und wir haben uns unser schlechtes Gewissen, das wir Deinetwegen hatten, mit wissenschaftlichen Studien ('Schokolade macht glücklich', 'Schokolade hilft gegen Depressionen', usw.) schön geredet.
Müssen wir die Schokolade mehr würdigen?
Und das soll jetzt alles nicht mehr zählen? Nur weil Du eine Diva unter den Nutzpflanzen bist und mit dem Klimawandel nicht so gut zurechtkommst? In der Tat sind die Gründe für Dein Verschwinden aus unserem Leben ernst: Kakaobauern verdienen oft wenig, viele von ihnen leben unter der Armutsgrenze – ihre Kinder siedeln sich lieber in den Städten an. Es gibt die Befürchtung, dass Seuchen wie Ebola ganze Landstriche ins Chaos stürzen. Ein Pilz vernichtet große Teile der Welternte. Und den Rest – wollen immer mehr Leute haben. In Europa zum Beispiel die Feinschmecker, bei denen dunkle Schokolade mit besonders hohem Kakao-Anteil en vogue ist.
Aber auch die Chinesen sind auf den Geschmack gekommen: Derzeit liegt dort der jährliche Pro-Kopf-Genuss noch bei etwa 200 Gramm – wenn aber 1,4 Milliarden Chinesen irgendwann so viel Schoki wie wir Deutschen essen wollen, wird es verdammt knapp. Ein Zustand, den vermutlich nur Ernährungsberaterinnen begrüßen würden.
Sperenzchen wie Bodylotion mit Kakao oder sautierte Lammleber an feiner Schokoladensoße können wir uns dann endgültig sparen, weil wir sie uns ohnehin nicht mehr leisten könnten. Das bisschen Schokogeld, das uns noch bleibt, investieren wir dann vermutlich lieber in den puren Genuss. Und vielleicht gelingt es uns auf diese Weise ja sogar, Dich so zu würdigen, wie Du es eigentlich verdient hättest: Indem wir ein Rippchen von Dir ganz achtsam und voller Genuss auf der Zunge zergehen lassen. Und nicht gleich die halbe Tafel verschlingen, weil sie jetzt ohnehin schon mal offen ist.