Vier Studenten entwickeln App, um in bedrohlichen Situationen zu helfen
Von Michelle Janetschek
Es ist nachts. Julia ist alleine unterwegs. Sie möchte nach Hause, läuft die Straße entlang, an einer Gruppe Männer vorbei. Außer ihnen ist sonst niemand zu sehen. Sie ist angetrunken, die Gruppe auch. Sie sprechen sie an. Julia geht schneller. Die Männer werden ausfallend, gehen ihr hinterher. Sie greift nach ihrem Handy und schreibt einem Freund – er soll ihr helfen.
So ähnlich erging es einer Freundin von Tobias Röddiger, die sich hilfesuchend an ihn wandte. "Ich war aber leider viel zu weit weg, um einzugreifen, aber ich wette, es waren genug Leute in ihrer Nähe, die geholfen hätten", erklärt der Informatik-Student. Mit drei Kommilitonen diskutiert er das Problem. Die Studenten werden aktiv.
Bedrohte oder Verfolgte sollen in ihrer Umgebung per App Verstärkung rufen und um Hilfe bitten können. "Unsere App 'enCourage' soll dann helfen, wenn man sich bedroht oder unsicher fühlt. Wenn Freunde schlafen, zu weit weg sind, oder die Polizei zu rufen, zu voreilig erscheint beziehungsweise zu lange dauert", erklärt Röddiger. Sie wollen damit keine Möchtegern-Polizisten auf den Plan rufen – stattdessen soll die Anwesenheit Dritter entschärfend wirken. Damit das funktioniert, muss die App auf dem Handy installiert sein.
Im Notfall setzt ein Hilfesuchender einen Alarm ab. Daten mit dem genauen Standort des Hilfsbedürftigen werden versendet. Gleichzeitig werden alle informiert, die nah genug am Ort sind, um schnell eingreifen können. Wer eine Benachrichtigung erhält, kann reagieren und Behörden alarmieren oder selbst zur Hilfe eilen, um eine bedrohliche Situation zu deeskalieren.
Eine weitere App-Option ist der 'Dead Man‘s Switch'. Hierfür wird in unsicheren Momenten ein Alarmknopf gedrückt gehalten. Wird das Handy von einem Verfolger aus der Hand gerissen, wird durch das Loslassen ein direkter Alarm ausgelöst und Personen in der Umgebung werden benachrichtigt. War das Loslassen nur ein Versehen, kann mit einem Code der Fehlalarm wieder beendet werden.
"Wir verfolgen eine soziale Idee mit unserer App"
Was als Projektidee für ein Seminar an der Uni begann, begeisterte die vier Studenten, so dass sie die App immer weiter entwickelten - und das seit über einem Jahr. Sie entwarfen die Benutzeroberfläche, legten die Funktionen der App fest und erprobten sie mit etwa 1.000 Beta-Testern. "Es kostet schon sehr viel Zeit, aber macht eben auch viel Spaß. Es ist einfach toll zu sehen, wie sich das Projekt entwickelt und wir wissen genau, toll, das ist unsere Idee, die da heranwächst", erklärt Röddiger.
Mit ihrer App haben die vier bereits einen deutschen Entwicklerpreis gewonnen. Durften sogar nach Seattle fliegen, um dort beim internationalen Technik-Wettbewerb – dem 'Imagine Cup' von Microsoft, mitzumachen. Obwohl dort andere gewannen, war es für sie eine tolle Erfahrung undmotivierte die Studenten nur zusätzlich . Nun wollen sie die App auf den Markt bringen. "Wir wollen lokal anfangen und uns dann ausbreiten", so Röddiger. Die App braucht nach Berechnung der Studenten etwa acht Prozent der Smartphone-Nutzer in einer Stadt, damit jemand die Nachricht sieht und auch hilft.
Die vier Studenten sind optimistisch und die Resonanz ist positiv. "Wir haben sehr viele emotionale Nachrichten erhalten, in denen sich Leute bedanken. Sie finden, dass wir mit unserem Projekt etwas für die Gesellschaft tun. Das ist toll, weil wir tatsächlich einen sozialen Gedanken mit unserer App verfolgen." Anfang nächsten Jahres soll ‘enCourage‘ dann offiziell auf den Markt kommen. In einer kostenlosen Version – mit einem freien Hilferuf und einer Version, die Geld kostet und mehr Optionen bietet. Die Vier hoffen, dass ihre Reise dann richtig beginnt – und sie Hilfsbedürftigen ein Sicherheitsgefühl im Alltag geben können.