06. November 2018 - 8:09 Uhr
Die wohl größte Mordserie der Nachkriegsgeschichte
Im Prozess um die vermutlich größte Mordserie der Nachkriegsgeschichte legt die Anklage dem Ex-Pfleger Niels Högel 100 weitere Morde zur Last. Die Verhandlung beginnt mit einer Schweigeminute für die Opfer. Später, nach der Verlesung der Anklageschrift, wird Högel die Morde gestehen. Für RTL sitzt Reporter Roland Rickelmann mit im Saal.
Angehörige reagieren gefasst
Der Andrang ist groß, aber es sind weniger Menschen im Saal als erwartet. Um 9:06 Uhr betritt Högel den Saal. Er hat Gewicht verloren, seine Haare sind kürzer. Es erhebt sich etwas Getuschel, doch es bleibt ruhig, die Nebenkläger und Angehörigen der mutmaßlichen Opfer reagieren gefasst auf den Auftritt Högels. Zwei Minuten später betritt Richter Sebastian Bührmann den Saal.
Richter entschuldigt sich im Vorfeld der Verhandlung

Direkt zu Beginn der Verhandlung richtet sich der Richter entschuldigend an die Nebenkläger und Angehörigen, man werde viel in Juristensprache sprechen, diese Sprache sei manchmal hart. Man solle das bitte nicht für Kälte halten. Es gehe darum, den Fall mit Sachlichkeit zu lösen, das erfordere eine sachliche, fachliche Sprache. "Wir werden uns bemühen und mit allen Kräften nach der Wahrheit suchen", verspricht Bührmann.
Dann wendet sich Bührmann an Högel: "Ich werde mit Ihnen fair verhandeln, ich werde mit Ihnen offen verhandeln in guten Sachen wie in schlechten Dingen." Anschließend verliest der Richter die Namen der Opfer, deren Tod im Prozess im Jahre 2015 verhandelt wurde. Dann bittet er alle Anwesenden, zu einer Schweigeminute aufzustehen, auch Högel erhebt sich. "Alle ihre Angehörigen haben es verdient, dass man ihrer in Ehren gedenkt", sagt Bührmann, unabhängig davon, ob Högel etwas mit deren Tod zu tun habe oder nicht.
Staatsanwaltschaft verliest Namen aller Toten

Um 9.32 Uhr beginnt die Oberstaatsanwältin Daniela Schiereck-Bohlmann mit der Verlesung der Anklageschrift, sie verliest den Namen jedes Menschen, dessen Tod in dem neuen Prozess gegen Högel verhandelt wird. Dazu Geburtstag, Todesursache und Todeszeitpunkt.
Der bereits wegen anderer Fälle zu lebenslanger Haft verurteilte 41-Jährige soll von 2000 bis 2005 an Kliniken in Delmenhorst und Oldenburg in Niedersachsen Patienten im Alter von 34 bis 96 Jahren mit Medikamenten zu Tode gespritzt haben. Die Taten seien aus niederen Beweggründen und heimtückisch begangen worden, sagte Oberstaatsanwältin Daniela Schiereck-Bohlmann zum Auftakt der Verhandlung.
Högel möchte "Angaben zur Sache machen"
Um kurz vor elf ist es so weit. Der Richter wendet sich erneut an Högel, fragt, ob er zu den Vorwürfen in der Anklageschrift etwas sagen will. "Ja, ich möchte Angaben zur Sache machen", entgegnet Högel.
Laut Richter steht dem angeklagten Krankenpfleger in der JVA mehrere Stunden ein Laptop zur Verfügung. Dort kann er die Krankengeschichten der Opfer nachlesen, es soll helfen, seine Erinnerung wachzurütteln.
Am Ende folgt das Geständnis
Heute aber geht es zunächst einmal um den Angeklagten selbst und um seinen Werdegang. Er sei "behütet und beschützt aufgewachsen", in der Schule keine Auffälligkeiten. Seine Großeltern seien schon im Sanitätsbereich tätig gewesen, sie habe er als Vorbild gehabt – schon seit seiner Jugend habe er Krankenpfleger werden wollen. 1994 habe er schließlich die Ausbildung begonnen.
Ende der Neunziger Jahre sei dann seine Beziehung in die Brüche gegangen, Högel griff zu Opiaten, so habe er besser mit dem Leistungsdruck umgehen können, schließlich sei er überfordert gewesen.
Dann folgt die Frage des Richters an Högel: "Treffen diese Fälle, die wir hier verhandeln, zu?"
"Ja, zumindest die, an die ich mich erinnern kann", antwortet Högel.
Eine Bestätigung für die vielen Nebenkläger und Angehörigen. "Wir haben vier Jahre für diesen Prozess gekämpft und erwarten, dass Högel wegen weiterer 100 Morde verurteilt wird", sagte Christian Marbach, der Sprecher der Angehörigen, dessen Großvater von Högel getötet wurde, bereits vor der Verhandlung. "Das Ziel ist, dass Högel so lange wie möglich in Haft bleibt."