Soziales Netzwerk 'Whisper': Digitaler Seelenstrip – und die Welt schaut zu
Nie war beichten einfacher
"Ich habe ihm erzählt, dass ich unser Baby verloren habe. Mein Sohn ist jetzt drei Jahre alt und mein Ex hat keine Ahnung, dass sein Kind lebt." "Ich sitze in einer Klinik, um meine Geschlechtskrankheit behandeln zu lassen. Alles nur, weil ich meine Frau betrogen habe. Habe mich nie schlechter gefühlt." Solch brisante Geheimnisse werden längst nicht mehr nur im Kirchenbeichtstuhl offenbart oder engen Freunden anvertraut. 'Whisper‘ heißt ein soziales Netzwerk aus den USA, dessen Nutzer Intimes mit aller Welt teilen. Kostenlos, werbefrei - und völlig anonym. Angeblich.
Nie war es leichter, sein Gewissen zu erleichtern. Einfach die 'Whisper'-App aus dem Store ziehen, laden und losbeichten. Man tippt ein paar Zeilen ein und die Anwendung schlägt ein passendes Foto vor. Vielleicht noch ein, zwei Hashtags dazu, Fake-Name ausgedacht. Fertig. Die voyeuristische Postkarte landet binnen Sekunden bei 'Whisper‘ - sichtbar für jeden, der die Seite aufruft. Nach Angaben von Gründer Michael Heyward immerhin 3,5 Millionen pro Monat. Genaue Nutzerzahlen will er jedoch nicht preisgeben.
Völlig Fremde können den Seelenstrip kommentieren und mit Herzchen versehen – 'Whispers' Äquivalent zu 'Facebooks' 'Gefällt mir'-Button. Auch ein Chat mit dem Urheber ist möglich. Alles anonym, versteht sich. Nicht mal die Firma selbst kenne die Namen ihrer Nutzer, beteuert Heyward im 'CNBC '-Interview.
Ein Paradies für Pädophile
Viele der Geheimnisse fallen eher in die Kategorie 'wen interessiert’s?'. Zum Beispiel, wenn eine Starbucks-Mitarbeiterin gesteht, dass sie noch nie in ihrem Leben Kaffee getrunken hat. Doch wie schnell eine unbedachte Beichte ernsthafte Konsequenzen haben kann, zeigt das Beispiel einer 17-Jährigen aus Arizona. "Ich will schwanger werden, aber ich bin noch Teenager", gestand sie bei 'Whisper'. Kurz darauf wurde ein 32-jähriger Polizist verhaftet, der das Mädchen auf der Seite angeschrieben und anschließend getroffen hatte. Gegen ihn wird nach Angaben der 'ABC News' jetzt wegen Sex mit Minderjährigen ermittelt. Möglich war die Festnahme, weil 'Whisper' ausnahmsweise die Anonymität der Nutzer aufgehoben hatte. Das tut das soziale Netzwerk nach eigenen Angaben in Fällen, in denen Gefahr im Verzug ist. Zwar sei auch dann nur der Aufenthaltsort ersichtlich, aber das hatte hier schon gereicht.
Laut Geschäftsbedingungen des Netzwerks ist es nur Nutzern ab 17 Jahren erlaubt, sich der Welt zu offenbaren. Aber das eingebaute Warn-Pop-up "Bist du über 17? Ja/ Nein", schreckt die Jüngeren keinesfalls ab. Ein Paradies für Pädophile und andere Menschen, die nichts Gutes im Schilde führen, und die Naivität mancher User ausnutzen. Über Private Messaging beispielsweise. Immerhin gibt es laut Heyward Filter, die etwa pornografische und gewalttätige Inhalte blocken.
Und dann ist da noch die Sache mit der Vermarktung. 'Whisper' schaltet im Gegensatz zu 'Facebook' keine Werbung. Bloß: Wie lange noch? Gründer Heyward macht keinen Hehl daraus, dass er zunächst genug Nutzer auf die Seite locken will, bevor er Kapital aus seiner Idee schlägt. Interessierte Investoren klopfen angeblich in Scharen an Heywards Tür. Grund ist neben den beachtlichen Zugriffszahlen auch das attraktive Nutzerprofil des Netzwerks: Die Mehrheit der User sind studierte Frauen zwischen 18 und 24 Jahren.
Eine Frage, die sich bei 'Whisper' geradezu aufdrängt, bleibt: Wie anonym ist das Netzwerk wirklich? Ist Privatsphäre im World Wide Web nicht doch bloß eine schöne Illusion? Spätestens seit der Affäre um die NSA, ist es mehr als fraglich, ob das Internet der richtige Ort ist, um die Seelenhosen runterzulassen.