Serie: Leben in der Krise (Teil 1) – Spanien: Große Veränderungen und ein Berg von Schulden
"Wir gehen noch nicht mit der Flinte aufeinander los"
Viel wird geschrieben über die Krise in den sogenannten PIIGS-Staaten, den schwächelnden Euro-Mitgliedsländern Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien. Wie aber lebt es sich in einem Euro-Krisenstaat als Deutscher?
RTLaktuell.de hat mit einigen deutschen Staatsbürgern gesprochen, die schon länger in Euro-Krisenländern leben und dort gut vernetzt sind. Im Gespräch erzählen sie, wie es ihnen dort ergeht und was sich seit Ausbruch der Krise verändert hat.
Im ersten Teil der Serie blicken wir nach Spanien. Jürgen Fassbender lebt schon seit dem Jahr 2000 dort, genauer in der Nähe von Bilbao im Baskenland. Er ist verheiratet mit einer Spanierin, hat viele spanische Freunde und fühlt sich äußerst wohl im Norden des Landes. Der gebürtige Rheinländer arbeitet für eine spanische Firma im Exportbereich.
Spurlos geht die Krise an niemandem in Spanien vorbei. "Im Baskenland herrschte 2007 noch Vollbeschäftigung. Jetzt ist die Arbeitslosigkeit auf 17 Prozent gestiegen", erzählt Fassbender. Dabei ist das Baskenland wirtschaftlich noch eine der stärksten Regionen in Spanien. "Hier gibt es auch so etwas wie den Länderfinanzausgleich in Deutschland. Das Baskenland ist dabei eines der Geberländer, ähnlich wie Katalonien und die Region Madrid", sagt er. Doch es geht auch im Baskenland bergab: "Viele mittelständische Familienunternehmen, die sich lange Zeit halten konnten, sind jetzt den Bach runtergegangen. Es gibt auch eine sichtbare Verschlechterung in meinem Umfeld", so Fassbender, der beruflich viel in Deutschland unterwegs ist und die Produkte seiner spanischen Firma auch hierzulande verkauft.
"In meinem Freundeskreis gibt es schon einige Fälle, wo beide arbeitslos geworden sind." Man bekomme zwar zwei Jahre Arbeitslosengeld, doch nur wenn man lange und vor allem Vollzeit beschäftigt war. "Pro eingezahltes Jahr gibt es drei Monate Arbeitslosengeld, hat man Kurzarbeit geleistet, ist es aber entsprechend weniger", erklärt Fassbender. Und nach zwei Jahren ist Schluss, dann gibt es nur noch eine geringe Sozialhilfe.
Spanien ist generell schwer getroffen von der Wirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit ist auf ein Rekordhoch von 27,2 Prozent gestiegen. Bei Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 lag sie noch bei 11,3 Prozent. Noch erschreckender ist der Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit, die Ende 2012 erstmals auf 55 Prozent stieg.
Familie bietet noch viel Halt – "Nachhaltigkeit hat der Spanier nicht so drin"
"Wir gehen hier noch nicht mit der Flinte aufeinander los. Die Familie fängt viel auf. Ich habe Freunde, die zwischen 30 und 40 Jahre alt sind und wieder bei den Eltern leben", sagt Fassbender, "das hält die Lebenskosten niedrig".
Ein großes Problem ist die Immobilienblase, die in den vergangenen Jahren geplatzt ist. Viele haben maßlos überteuerte Wohnungen gekauft. "Die Leute sitzen jetzt auf einem Berg Schulden, die sie nicht zurückzahlen können. Die Wohnungen waren einfach zu teuer."
Insgesamt sieht Fassbender eine Abneigung gegen die Sparpolitik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die die Binnennachfrage in Spanien abwürgt. "Ich sitze da auch zwischen den Stühlen", sagt er. "Ich bin der einzige Deutsche in meinem Stadtviertel, ich muss immer Rede und Antwort stehen." Die meisten seien gegen die Sparpolitik und empfinden sie als eine Art "deutsche Erfindung". "Und die Schuldenspirale kreist immer weiter. Es gibt da natürlich sehr unschöne Bilder im Internet von Merkel, die Menschen sind schon sauer auf Deutschland." Das Negativbild der deutschen Politik werde aber weitestgehend über die Medien kolportiert.
Damit lenken die Spanier auch von den eigenen Unzulänglichkeiten ab, findet Fassbender. "Es gibt Korruption auf allen Ebenen, das zieht sich bis in die Rathäuser hinein. Die Losung 'Man kann nur ausgeben, was man hat' hat es in Spanien nie gegeben", erklärt Fassbender, dessen Firma offenbar über einen außergewöhnlichen Chef verfügt. "Mein spanischer Geschäftsführer steht hinter dem Sparkurs. Er wünscht sich, dass Merkel wiedergewählt wird."
Klar ist aber auch, dass Spanien vor gravierenden Veränderungen steht. "Die Baubranche zum Beispiel liegt komplett am Boden. Es geht hier auch um Nachhaltigkeit, das ist ein deutsches Modewort, das der Spanier noch nicht so drin hat."
Und so ziehen viele Spanier den Weggang aus ihrem Land in Betracht. "Der spanische Staat unterstützt das sogar. Deshalb richten jetzt wirklich viele den Blick Richtung Ausland", so der 43-Jährige. "Und ich bin froh, dass ich mein Geld auch auf deutschen Autobahnen verdiene, wenn ich im Auftrag meiner Firma unterwegs bin."
Oliver Scheel