Psychologe klärt auf

Nach einem folgenschweren Fehler: Wie lebt man mit der Schuld?

Wie können wir mit der eigenen Schuld umgehen und lernen, weiterzuleben?
Wir alle machen Fehler, doch manche davon haben verhängnisvolle Auswirkungen.
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Manchmal entscheiden wenige Sekunden über Leben oder Tod

Jeder Mensch macht Fehler. Die meisten sind ärgerlich, haben aber keine langfristigen oder schwerwiegenden Folgen. In seltenen Fällen aber passieren Dinge, die nicht nur für einen selbst, sondern auch für einen anderen Menschen und dessen Familie tragische Folgen haben.

Häufig können schon wenige Sekunden Unachtsamkeit das Leben für immer verändern: Man lässt nur einen Moment das Kleinkind mit dem kochenden Nudelwasser in der Küche allein, um dem Paketboten schnell die Tür zu öffnen oder die Wäsche aus der Waschmaschine im Bad zu holen. Man wirft nur einen kurzen Blick aufs Handy, während man das Auto über die Autobahn oder durch den Stadtverkehr lenkt. Oft sind es alltägliche Situationen wie diese, die folgenschwere Konsequenzen haben und über Leben oder Tod entscheiden können.

Was löst Schuld in uns aus?

Vermutlich jeder fürchtet sich davor, einen Fehler zu begehen, der einen anderen Menschen ins Unglück stürzt oder schlimmstenfalls das Leben kostet. Wie aber können Menschen damit umgehen, wenn genau das passiert? Wenn wir eben nicht mit dem wortwörtlichen blauen Auge davonkommen, sondern der Worst Case eintritt?

Der Diplom-Psychologe Dr. Dirk Baumeier kennt sich aus im Umgang mit belastenden und traumatischen Lebenssituationen. Im Interview erklärt der Experte, was Schuld in uns auslöst: „Sind Menschen durch eigene Fehler schuldig geworden, leidet ihre Seele Zahnweh. Die Betreffenden werden oftmals von Erinnerungen des Vorfalls heimgesucht und tragen schwer an den Konsequenzen ihrer eigenen Unachtsamkeit.“

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"Wir müssen zum Ausdruck bringen, dass es uns unendlich leid tut"

Der erste Schritt im Prozess der Verarbeitung ist laut Baumeier die Entschuldigung. „Kam ein Mensch zu Schaden, verdienen er oder seine Hinterbliebenen, dass wir unseren Fehler einräumen. Wir müssen zum Ausdruck bringen, dass es uns unendlich leid tut“, rät der Diplom-Psychologe.

Im Anschluss sollten wir nach einer Kompensation - also einer Art Wiedergutmachung - gemäß unseren Möglichkeiten suchen. „Auch wenn es sich um einen Unfall oder ein tragisches Missgeschick handelte, erwartet die Opferseite von uns Sühne“, erklärt Baumeier.

Wie schaffen es Betroffene, mit der eigenen Schuld weiter zu leben?

Für einen Menschen, durch dessen Unachtsamkeit oder Fehler ein anderer Mensch zu Schaden gekommen oder sogar gestorben ist, gerät die eigene Welt zumeist aus den Fugen. Wie schaffen es Betroffene, mit der eigenen Schuld weiter zu leben?

Baumeier empfiehlt, sich professionelle Hilfe zu suchen: „Oftmals ist es ratsam, die Geschehnisse mit psychotherapeutischer Hilfe zu reflektieren.“ Ziel dieser Aufarbeitung sei es, die „Schicksalhaftigkeit des tragischen Lebensereignisses zu akzeptieren.“ Es gehe darum, zu akzeptieren, dass „unglückliche Verknüpfungen in das Leben eingegriffen haben“. Letzten Endes müssten wir demütig bleiben vor den Fügungen des Lebens, wohin immer sie uns führen.

"Empfundene schwere Schuld können wir nie endgültig ablegen, aber wir können sie nutzen"

Baumeier erklärt, warum ist so schwierig ist, die Schuldgefühle irgendwann abzulegen: „Es ist schwerer, sich selbst einen Fehler zu verzeihen als anderen.“ Im Regelfall seien wir es nämlich gewohnt, uns in allen Punkten Recht zu geben. „Müssen wir zugeben, dass durch unser beabsichtigtes oder unbeabsichtigtes Verhalten jemand die Folgen unseres Tuns tragen muss, dann werden wir innerlich klein“, so der Experte weiter.

„Empfundene schwere Schuld können wir nie endgültig ablegen, aber wir können sie nutzen, um in ihrem Angesicht etwas Gutes zu bewirken“, rät Baumeier. Dem Opfer zu Ehren sollten wir dann etwas tun, was anderen Menschen nützt. Auf diese Weise könne aus dem Schlimmen des Vorfalls somit noch eine Kraft erwachsen, die dem Leben dient. (nri)