Ab wann sollten Kinder wählen dürfen?
Keine Angst vorm Jugendwahlrecht! Was dafür spricht, mit 16 schon wählen zu gehen
von Mireilla Zirpins
24,4 Millionen Deutsche waren 2022 über 60, Tendenz steigend. Wer eine Wahl gewinnen will, hat’s leicht, wenn er sich bei ihnen beliebt macht. Die 13 Millionen Menschen unter 18 hingegen dürfen in Deutschland bei der Bundestagswahl nicht mitstimmen. Wie können wir ihren Bedürfnissen gerecht werden? Wie läuft’s in Österreich, wo 16- und 17-Jährige seit 2007 überall mitwählen können?
Gut für Wahlbeteiligung und politisches Interesse: ein niedriges Einstiegsalter bei Wahlen
„Allein die Möglichkeit zu wählen hat bei den 16- und 17-Jährigen zu einer intensiveren Beschäftigung mit Politik geführt“, fasst Prof. Bernhard Heinzlmaier vom Institut für Jugendkulturforschung in Wien zusammen. „So haben sie schon früher politische Kompetenz erworben.“ Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2015 beobachtete einen ähnlichen Effekt nach der Öffnung der Landtagswahlen für die 16-Jährigen in Bremen, Brandenburg und Hamburg: Das Interesse an Politik steigt und damit auch die Wahlbeteiligung bei Erstwählern.
Zum Vergleich die Faktenlage in Deutschland:
- Bei Bundestagswahlen darf man erst ab 18 zur Urne gehen – wird man erst kurz nach der Wahl 18, wählt man im schlimmsten Fall erstmals kurz vor dem 22. Geburtstag.
- Bei Kommunalwahlen dürfen in elf Bundesländern Menschen ab 16 mitstimmen, in vier davon sogar auch bei den Landtagswahlen. In Bayern, Sachsen, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland hingegen ist alles ab 18.
- Bei Wahlen zum Europaparlament dürfen ab 2024 in Deutschland auch Menschen ab 16 mitstimmen.
Welchen Einfluss hätten die 16- bis 17-Jährigen überhaupt auf das Wahlergebnis?
Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung kam zu dem Ergebnis, dass genau dieser Flickenteppich Jungwähler verwirren kann. Grüne, FDP und Linke sind mit ihrem Vorstoß, das Wahlrecht mit 16 flächendeckend einzuführen, 2021 im Bundestag an den Stimmen von CDU, SPD und AfD gescheitert.
Was die Gegner des Jugendwahlrechts fürchten? „Das ist eine irrationale Angst“, urteilt Heinzlmaier. „Wir wissen, dass diese zwei Jahrgänge kaum einen ernstzunehmenden Einfluss auf das Wahlergebnis haben. Wenn von den 16- bis 18-Jährigen alle eine Partei wählen würden, dann würde sich das nicht mal um ein Prozent verschieben“, umreißt der Sozialwissenschaftler das statistische Potenzial dieser Altersgruppe.
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Ab welchem Alter ist man reif genug für Wahlen?
Aber setzt die politische Urteilsfähigkeit wirklich mit der juristischen Volljährigkeit am 18. Geburtstag ein? Manche Wahlergebnisse lassen kritische Geister auch an der sittlichen Reife der Ü18-Wähler zweifeln. Und für Jugendliche gibt es neben der Volljährigkeit auch noch andere Altersgrenzen. So ist man etwa ab 14 religionsmündig und darf mit 16 rauchen, Wein oder Bier trinken. Ab 17 darf man in Begleitung ein Auto fahren.
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Wahlrecht ab 0 oder ab Geburt: Wenig Chancen in Deutschland
Für Erwachsene sind Wahlen eine wichtige Möglichkeit mitzubestimmen. Für Kinder bislang nicht. In Deutschland können sie nur bei den so genannten „U18-Wahlen“ ihre Stimme abgeben - symbolisch. Die Ergebnisse werden publiziert. Aber bei der Bundestagswahl zählen nur die „richtigen“ Stimmen der Über-18-Jährigen. „Sicher eine nette Geschichte“, bewertet Heinzlmaier, hält die Ergebnisse aber nicht für aussagekräftig. In den Voten der Kinder spiegele sich häufig die Überzeugung der Eltern. Das führt zu der Sorge, die Eltern hätten hier mehr als eine Stimme. Das wäre eine klare Abweichung vom Grundsatz „One man – one vote“. Und so sehen juristische Gutachter auch kaum eine Chance für ein Wahlrecht ab 0 oder ab Geburt, das stellvertretend von den Eltern ausgeübt würde.
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Welche politischen Interessen haben Jugendliche?
Natürlich gibt es in allen Altersklassen Menschen, die kein Interesse an Politik zeigen. Bewegungen wie „Fridays for Future“ zeigen aber, dass Menschen unter 18 durchaus starkes politisches Interesse an den Tag legen können. Ihnen sind andere Dinge wichtig sind als den meisten Senioren oder Hochbetagten. Kids und Teens haben vielleicht kein Problem mit einem Tempolimit, das uns Klimaziele erreichen lässt. Sie können in einer autofreien Stadt sicherer zur Schule oder Kita kommen, in der gern mehr gut ausgebildetes Personal kleine Gruppen betreut. Und genauso wie ihre Eltern freuen sie sich über eine familienfreundliche Arbeitswelt.
Wie können Kinder und Jugendliche auch ohne Wahlrecht ihre Interessen durchsetzen?
Doch wie können sie die Erwachsenen außerhalb ihrer Familie wissen lassen, wie sie sich die Welt vorstellen, in der sie noch so viele Jahre verbringen? Prof. Heinzlmaier: „Es ist nicht allein die Stimme bei Wahlen. Am besten setzt man Interessen durch, indem man auf die Straße geht. Und wenn man häufig genug auf die Straße geht und das viele Leute sind, dann bewegt sich die Politik.“ Greta Thunberg und die Friday’s For Future Bewegung mit ihren Demos und Schulstreiks zeigen, dass die Kids von heute das verstanden haben.