James Holmes: Eine Lebensgeschichte mit vielen Widersprüchen
Der Nachbar mit der lauten Musik
Eigentlich hatte Kaitlyn Fonzi nicht gedacht, dass sie sich einmal näher mit ihrem Nachbarn beschäftigen würde. Den Mann in der Wohnung über ihr beschreiben die Bewohner des roten Backsteinhauses in Aurora im US-Bundesstaat Colorado als Einzelgänger, der nicht weiter auffiel – bis in der Nacht vom 19. auf den 20. Juli gegen Mitternacht laute Technomusik aus dem Apartment im dritten Stock dröhnt. Hier wohnt James Holmes, 24 Jahre alt, ehemaliger Student der Neurowissenschaften an der Universität Colorado.
Fonzi geht die Treppe zum dritten Stock hoch, um sich zu beschweren. Die Tür ist unverschlossen, der Bewohner jedoch nicht zu Hause. Andere Mieter rufen die Polizei wegen des Lärms, doch die hat gerade anderweitig zu tun. Zu diesem Zeitpunkt ist Holmes bereits am Kino 'Century 16', nicht weit entfernt von seinem Wohnort. Ausgerüstet mit einer Gasmaske, einer schusssicheren Weste, einem Sturmgewehr und einer Schrotflinte begibt er sich in Saal 9 des Kinos, wo die Premiere des neuen Batman-Films begonnen hat.
Er baut sich vor der Leinwand auf, wirft eine Tränengasgranate oder Rauchbombe in den Raum und schießt auf die ahnungslosen Kinobesucher. Zwölf Menschen sterben, 58 werden verletzt. Nach der Tat lässt sich Holmes auf einem Parkplatz festnehmen. Er soll den Beamten erzählt haben, er sei Batmans Gegenspieler Joker.
Fonzi wird von dem Blutbad erst später erfahren. Als sie merkt, dass ihr Nachbar nicht zu Hause ist, entschließt sie sich, nicht hineinzugehen. "Irgendetwas hielt mich davon ab, hineinzugehen", zitiert 'The Independent' sie. Um ein Uhr stoppt die Musik, die sich anhört, als würde ein Teil immer und immer wieder abgespielt werden. Doch lange währt die Ruhe nicht, denn zwei Stunden später rast ein Spezialeinsatzkommando der Polizei heran und evakuiert die verdutzten Bewohner. Während Fonzi im Pyjama auf der Straße steht, dürfte ihr klar werden, dass ihre Entscheidung zuvor möglicherweise ihr Leben gerettet hat.
"Akademisch lag ihm die Welt zu Füßen"
Holmes Wohnung ist mit einem Netz aus perfide konstruierten Sprengfallen präpariert. "Diese Wohnung war konzipiert, jeden zu töten, der sie betritt", wird später Auroras Polizeichef sagen. Das Bild, das wenig später über die TV-Bildschirme flimmert, zeigt einen lächelnden, aufgeweckt wirkenden jungen Studenten aus der Mitte der Gesellschaft.
Bislang schweigt Holmes zu seinem Motiv. Mittlerweile ist seine Biografie zumindest teilweise bekannt – Aufschluss gibt sie kaum. Er wächst mit seiner Schwester in San Diego auf, seine Mutter ist Krankenschwester, der Vater Softwareentwickler, berichtet die 'New York Post'. Als Teenager soll er 'NBC' zufolge Fußball gespielt haben, Mannschaftskameraden erinnern sich an ihn als unauffälligen Einzelgänger. Bekannte beschreiben ihn als schüchtern, aber intelligent.
Laut 'Denverpost.com' schrieb Holmes sich 2006 an der Universität von Kalifornien ein, um Neurowissenschaften zu studieren. 2010 schloss er das Studium ab – mit der Auszeichnung cum Laude. "Akademisch lag ihm die Welt zu Füßen", so Universitätsdekan Timothy White. Doch nach dem Studium – die USA befinden sich mitten in der Wirtschaftskrise - findet er keinen Job, muss ein Jahr bei McDonald's arbeiten, berichtet 'CBSnews'.
2011 schrieb er sich für das Doktorandenprogramm der Universität von Colorado ein. Wenige Wochen vor der Tat bricht er ab, die Gründe dafür sind unbekannt. Noch im Mai war er für eine Präsentation eingetragen.
Anders als die Mehrheit der Leute in seinem Alter besitzt Holmes kein Profil auf sozialen Netzwerken wie Facebook oder er hat sie vor der Tat gelöscht. Auf seinem Computer fanden die Ermittler dennoch einen Hinweis: Laut 'TMZ' soll der Kino-Killer ein Profil auf der Sexkontaktseite Adult Friend Finder besitzen – angelegt am 5. Juli. Zu sehen ist ein Nutzer mit Namen 'classicjimbo', der Holmes ähnlich sieht. Die Person auf dem Foto trägt die Haare rot gefärbt und lächelt weniger freundlich als auf dem Foto, das seine Universität nach der Tat herausgab. In seinem Profil steht nur ein einziger Satz: "Wirst du mich im Gefängnis besuchen?"