Die wichtigsten Fragen beantwortet

Hoffnung auf mehr Normalität: Kann der Biontech-Impfstoff die Pandemie beenden?

Covid-19-Impfstoff
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Langersehnter Lichtblick nach harten Pandemie-Monaten

Es war ein langersehnter Lichtblick, auf den wohl die meisten Menschen seit dem Beginn der Corona-Pandemie hingefiebert hatten: Das Mainzer Unternehmen Biontech und sein US-Partner Pfizer verkündeten am 9. November in einer Mitteilung einen vielleicht bahnbrechenden Erfolg mit ihrem Corona-Impfstoff BNT162b2. Demnach soll der neuartige mRNA-Impfstoff einen mehr als 90-prozentigen Schutz vor Covid-19 bieten. Auch Experten stimmt die Nachricht optimistisch: Der US-Top-Virologe Anthony Fauci sprach von "außergewöhnlichen" Ergebnissen und Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery von einem "Riesensprung nach vorne" - warnte aber, es sei noch kein "Durchbruch".

Was bedeutet die Entdeckung nun also? Könnte die Pandemie bald ihr Ende finden? Hier eine Übersicht über die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Wie lief die Impfstoff-Studie ab?

Biontech und Pfizer hatten im Juli ihre Phase-3-Studie für den Impfstoff BNT162b2 gestartet. Fasst 44.000 Menschen nahmen daran teil - die Hälfte von ihnen erhielt den neuen Impfstoff, die andere Hälfte ein Placebo aus Salzwasser. Das Entscheidende dabei: Weder die Freiwilligen, noch die Ärzte oder die Unternehmen wussten, wer was erhielt.

Nachdem 94 der Teilnehmer an Covid-19 erkrankt waren - also mindestens ein Symptom aufwiesen und positiv getestet wurden - schaute ein unabhängiges Gremium nach, wie viele der 94 Erkrankten den Impfstoff erhalten hatten und wie viele das Placebo. Damit stand das veröffentlichte Zwischenergebnis fest.

Zwar wurde bisher nicht bekannt gegeben, wie viele der 94 Erkrankten vorher geimpft worden waren. Allerdings dürften es bei einer Effizienz des Impfstoffs von mehr als 90 Prozent weniger als neun gewesen sein, rechnet das Gesundheitsnachrichten-Portal Stat vor.

90 Prozent Schutz vor Covid-19: Ist das ein gutes Ergebnis?

Zum Vergleich: Ursprünglich hatten Biontech und Pfizer bereits nach 32 Erkrankungen ein Zwischenergebnis ermitteln wollen. Wären weniger als sechs davon in der Impfstoff-Gruppe gewesen, hätten die Unternehmen bereits von einem wirksamen Impfstoff gesprochen. Die nun erhaltenen Resultate sind also deutlich besser als ursprünglich erwartet. Die Unternehmen betonen jedoch, dass mit dem Fortgang der Studie sich die Effizienz in Prozent noch verändern könnte.

Sollte sich die hohe Wirksamkeit von mehr als 90 Prozent bestätigen, "wäre dies eine unerwartet hohe Impfeffizienz", kommentierte Leif-Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charité. Viele routinemäßig eingesetzte Impfstoffe wie etwa gegen Influenza erreichten keine so hohen Werte.

Auch Clemens Wendtner von der München Klinik Schwabing zeigte sich überrascht von der hohen Wirksamkeit. "Dies ist bemerkenswert, da viele laufende Impfstudien zu Covid-19 derzeit lediglich eine Erfolgsquote von mindestens 50 Prozent voraussetzen." Auch die US-Zulassungsbehörde FDA hatte eine Wirksamkeit von 50 Prozent als Mindestwert für eine mögliche Zulassung festgelegt.

LESE-TIPP: Kann ich trotz Corona-Impfung noch ansteckend für andere sein?

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Wann fällt der Impf-Startschuss?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn rechnet damit, dass eine Zulassung in den USA und Europa sehr zügig geschehen wird. Aus EU-Kreisen hieß es jedoch, die europäische Arzneimittelbehörde Ema müsse im bereits laufenden Prüfverfahren noch weitere Tests an dem Wirkstoff vornehmen. Eine Zulassung in Europa sei daher frühestens "Anfang kommenden Jahres" realistisch. Eine Zulassung in den USA wollen Biontech und Pfizer frühestens kommende Woche beantragen.

Damit der Impfstoff nach einer Zulassung schnell in der Europäischen Union zur Verfügung steht, hat die EU-Kommission mit den Unternehmen einen Vertrag zur Lieferung ausgehandelt. Laut Biontech umfasst dieser mehr als 200 Millionen Dosen mit der Option für 100 Millionen Dosen. Deutschland alleine möchte bis zu 100 Millionen Dosen erhalten. Für eine Immunisierung sollen zwei Impfdosen pro Person nötig sein - es würde also reichen, um 50 Millionen Menschen in Deutschland zu impfen.

Bis zum Jahresende könnten laut Biontech und Pfizer bis 50 Millionen Impfdosen weltweit verfügbar sein. Bis Ende 2021 sollen es 1,3 Milliarden sein.

Wie sicher ist der Impfstoff? Gibt es bekannte Nebenwirkungen?

Aus den vorangegangenen Studien ist bekannt, dass eine Impfung mit BNT162b2 Nebenwirkungen wie Fieber hervorrufen kann. Laut William Gruber, einem der führenden Impfstoffforscher bei Pfizer, seien die Nebenwirkungen mit denen anderer Erwachsenen-Impfungen vergleichbar, aber möglicherweise schwerer als bei einer Grippeimpfung.

Schwere Nebenwirkungen sind laut den Unternehmen bisher bei den Studien nicht registriert worden. Leif-Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charité, verwies jedoch darauf, "dass der Beobachtungszeitraum für relevante Impfnebenwirkungen noch zu kurz ist".

Biontech und Pfizer wollen in der kommenden Woche die Notfallzulassung in den USA auch nur dann beantragen, wenn ein weiterer Meilenstein erreicht ist: Die Hälfte der Teilnehmer der Studie muss für mindestens zwei Monate nach Gabe der zweiten Impfdose mit Blick auf Sicherheitsbedenken untersucht worden sein.

LESE-TIPP: Wenn der Impfstoff da ist: Sollte man sich impfen lassen, auch wenn man bereits Corona hatte?

Was wissen wir noch NICHT über den Impfstoff?

Unklar ist bisher, ob der Impfstoff in verschiedenen Gruppen - insbesondere Risikogruppen wie älteren Menschen - gleichermaßen effizient wirkt. Bei der alljährlichen Grippeschutzimpfung zeigt sich etwa, dass Kinder und Jugendliche bis zu 75 Prozent geschützt sind, ältere Menschen jedoch nur noch zu 41 bis 63 Prozent. Dies liegt aber auch an den besonderen Eigenschaften des Grippevirus.

Geprüft werden muss ebenfalls noch, in welchem Maß die Impfung nicht nur vor Covid-19 schützt, sondern auch vor schweren Verläufen der Krankheit. Unklar ist auch, ob der Impfstoff asymptomatische Verläufe verhindern kann.

Offen ist auch die Frage, ob Geimpfte sich weiter mit dem Coronavirus infizieren und auch für andere Menschen ansteckend sein könnten. Denn das Virus vermehrt sich zunächst in den oberen Atemwegen wie den Schleimhäuten von Nase und Rachen, wo vor allem IgA-Antikörper die Infektion bekämpfen. Normale Impfungen bringen jedoch vor allem IgG-Antikörper hervor, die in inneren Organen wie der Lunge das Virus attackieren. Es könnte also sein, dass geimpfte Menschen vor einer schweren Erkrankung geschützt sind, jedoch andere Menschen weiter anstecken können.

Zudem ist nach wie vor unklar, wie lange ein Impfschutz vorhält. "Es könnte auch bei einem Covid-19-Impfstoff sein, dass man wie bei der Influenza-Schutzimpfung regelmäßig wieder geimpft werden muss", hatte Wendtner von der München Klinik Schwabing bereits Ende Oktober gesagt. Biontech-Chef Ugur Sahin geht allerdings davon aus, dass durch die Impfung eine einjährige Immunisierungswirkung erreicht werden kann. Dies sei aber noch nicht sicher.

Könnten Mutationen von Sars-CoV-2 einen Impfstoff nutzlos machen?

Ein Sorgenkind bei der Impfstoffentwicklung sind etwaige Mutationen von Sars-CoV-2 - wie sie zuletzt bei Nerzen in Dänemark beobachtet wurde. "Ich mache mir aber keine so großen Sorgen", sagte der Bonner Virologe Hendrik Streeck gegenüber der taz. Denn geraden beim mRNA-basierten Biontech-Impfstoff ließen sich Veränderungen "gut wieder einbauen und müsste dann in sogenannten Brückenstudien erneut geprüft werden". Es wäre dennoch ein Rückschlag, sollte sich das mutierte Virus beim Menschen doch noch verbreiten - zuletzt hatten Virologen mit Blick auf das Dänemark-Virus jedoch vorläufige Entwarnung gegeben. In den vergangenen Tagen hatten sich keine Menschen mehr neu angesteckt.

Was Mutationen betrifft, scheint das Coronavirus im Vergleich zum Grippevirus ohnehin relativ stabil zu sein. Das ist laut dem Charité-Virologen Christian Drosten ein Vorteil: "Wir müssen nicht befürchten, dass sich das Virus demnächst so stark verändert, dass ein Impfstoff seine Wirkung verliert."

Wann können wir aufhören, Masken zu tragen?

Für eine gewisse Zeit müssen die Corona-Regeln weiter beachtet werden. Denn bis ganz Deutschland zu einer "Herdenimmunität" durchgeimpft ist, dürfte laut dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach mindestens ein Jahr vergehen. Gesundheitsminister Spahn mahnte daher weiter zur Vorsicht. Der nächste Herbst und Winter, so lässt er hoffen, könnten vielleicht wieder anders werden.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Verteilung des Impfstoffs?

Die größte Herausforderung bei der Verteilung wird sein, dass der mRNA-Impfstoff bei einer Temperatur von minus 70 Grad Celsius transportiert werden muss und nicht lange im Kühlschrank gelagert werden kann. Die Deutsche Post teilte jedoch bereits mit, dass man für die Verteilung des Impfstoffs gut gerüstet sei. Man könne auch Impfstoffe transportieren, die extrem gekühlt werden müssten, sagte Konzernchef Frank Appel. Auch die US-Logistiker UPS und Fedex haben ihre Bereitschaft zur Verteilung des Impfstoffs unterstrichen.

Geimpft werden soll in Deutschland in Impfzentren sowie durch mobile Impftrupps. Der Aufbau der Impfzentren solle nach und nach in den nächsten sechs, acht, zehn Wochen erfolgen, so Gesundheitsminister Spahn. Das reiche zeitlich aus. Bund und Länder hatten sich darauf geeinigt, dass der Bund die Impfstoffe beschafft und finanziert, und die Länder die Impfzentren einrichten.

Was bedeutet der Erfolg für andere Corona-Impfstoffe?

Der Erfolg von Biontech und Pfizer ist ein gutes Zeichen für die zahlreichen weiteren Impfstoffkandidaten, die in der Entwicklung sind. Zum einen, weil auch andere Firmen - wie etwa das Tübinger Unternehmen Curevac und die US-Firma Moderna - genau wie Biontech und Pfizer ebenfalls mit mRNA-Impfstoffen arbeiten.

Zum anderen, weil im Fall des Biontech-Impfstoffs das sogenannte Spike-Protein des Coronavirus als Angriffsstelle für die Immunreaktion ausgewählt wurde. Auch bei anderen Impfstoffkandidaten - wie dem von Astrazeneca - richtet sich die Wirkung gegen genau dieses Protein. "Die Tatsache, dass dies bei diesem Impfstoff erfolgreich war, ist ein sehr gutes Zeichen für künftige Impfstoffe gegen Covid-19", so der US-amerikanische Experte Fauci gegenüber CNN.

Wer wird zuerst geimpft?

Laut einer Empfehlung des Deutschen Ethikrats, der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina und der Ständigen Impfkommission (Stiko) sollen ältere Menschen mit Vorerkrankungen sowie Mitarbeiter in Krankenhäusern und Pflegeheimen bevorzugt geimpft werden. Außerdem Menschen in gesellschaftlichen Schlüsselstellungen - etwa Mitarbeiter von Gesundheitsämtern und Sicherheitsbehörden, Polizisten, Feuerwehrleute, Lehrer und Erzieher. Innerhalb der nächsten Wochen sollen die Empfehlungen konkreter werden. Die Priorisierung soll dann von den Entscheidungsträgern der Politik festgesetzt werden.

+++ Wer wird zuerst geimpft? Gesundheitsminister Jens Spahn informiert über Strategie +++

Kann der Impfstoff die Pandemie beenden?

Pfizer-Chef Albert Bourla ist zuversichtlich, dass man mit dem Impfstoff-Erfolg einen großen Schritt gemacht habe, um "diese globale Gesundheitskrise zu einem Ende zu bringen". Allerdings warnen Experten davor, dass es noch zu früh sei, um den Einfluss des Impfstoffs auf die Pandemie zu bestimmen. Dafür müssten noch mehr Details zu der klinischen Studie bekannt sein - bisher haben Biontech und Pfizer nur eine Pressemitteilung veröffentlicht.

Quelle: ntv.de

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