Flughafen-Debakel: Wowereit gibt Vorsitz auf - und will Bürgermeister bleiben
Platzeck stellt Vertrauensfrage
Der erneut geplatzte Starttermin für den Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg stürzt die Verantwortlichen in ein Desaster von unklarer Tragweite. Jetzt räumt Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sein Amt und gibt angesichts des Debakels den Aufsichtsratsvorsitz der Betreibergesellschaft ab. Als Regierender Bürgermeister von Berlin will er allerdings im Amt bleiben. Auch die Tage von Flughafenchef Rainer Schwarz dürften gezählt sein. Der Rücktritt des Geschäftsführers wird seit längerem vom Bund, aber auch von Wowereits Koalitionspartner CDU gefordert. Wowereit sagte, er rechne mit einem Antrag auf Ablösung von Schwarz.
Über einen neuen Zeitplan, Mehrkosten und Konsequenzen müssen sich nun Berlin, Brandenburg und der Bund als Gesellschafter beraten. "Der Aufsichtsratsvorsitz soll künftig von Brandenburger Seite wahrgenommen werden", teilte das Presse- und Informationsamt Berlin mit. Wowereits Nachfolger wird Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), der bereits Mitglied im Aufsichtsrat ist.
Noch am Montagabend kam in der Hauptstadt der Koalitionsausschuss von SPD und CDU zusammen, um über die jüngste Hiobsbotschaft zu beraten - und demonstrierte anschließend Geschlossenheit. "Wir sind uns einig, dass wir zur großen Koalition stehen", sagte CDU-Fraktionschef Florian Graf.
Kritik an Wowereit vermied Graf genauso wie sein SPD-Kollege Raed Saleh. Graf zeigte allerdings Verständnis dafür, dass Innensenator und CDU-Chef Frank Henkel sich "stinksauer" darüber gezeigt hatte.
Am Donnerstag trifft sich auf Antrag der Opposition das Abgeordnetenhaus zu einer Sondersitzung. Die Grünen-Fraktion will einen Misstrauensantrag gegen Wowereit einbringen, der Regierungschef bleiben will. "Ich gehe davon aus, dass die SPD-Fraktion und die Koalition dem Regierenden Bürgermeister das Vertrauen aussprechen", sagte Saleh.
Was nun? Fragen und Antworten
Nach dem vorläufigen Höhepunkt im Debakel um den neuen Airport stellen sich einige Fragen. Wann heben die ersten Maschinen jetzt endlich ab? Unklar. Welche Mehrkosten drohen? Unkalkulierbar. Nötige Nachbesserungen? Zahlreich und leider sehr kompliziert. Die Lage auf der Großbaustelle des künftigen Hauptstadtflughafens Berlin Brandenburg ist konfus. Eigentlich sollte nun der Countdown zur ohnehin verspäteten Eröffnung am 27. Oktober 2013 laufen. Doch vorerst sind alle Uhren angehalten. Hier sind alle Fragen und Antworten:
Warum sind die Planungen jetzt geplatzt?
Die Brandschutzanlage im zentralen Passagierterminal erweist sich einmal mehr als Achillesferse des Milliardenprojekts. Das war den Planern auch bewusst, nachdem die komplizierte Technik schon seit Monaten nicht in den Griff zu bekommen ist. Die Probleme sind aber nun doch größer als angenommen. Mit Datum 4. Januar 2013 gingen beim Bund, Berlin und Brandenburg als Gesellschaftern Schreiben von Flughafen-Technikchef Horst Amann ein. Die unerfreuliche Botschaft: Die ohnehin wacklige Zielmarke 27. Oktober ist nicht zu halten. Und: "Es ist derzeit zu früh, über einen möglichen neuen Eröffnungstermin zu sprechen", wie Amann klar machte.
Welche Folgen hat das Termin-Debakel für die Flughafen-Baustelle?
Alle mühsam nachjustierten Zeitpläne sind vorerst Makulatur. Denn eigentlich sollten die Bauarbeiten bis Mai abgeschlossen sein. Doch dem Vernehmen nach fehlen nach wie vor Planungsunterlagen für die Entrauchungsanlage. Die Arbeiten konnten daher nicht wie geplant längst wieder hochgefahren werden. Zur Investitionsruine soll das fast fertige Gebäude aber keinesfalls verkommen. Auch andere radikale Um- oder Neubauten sind nicht vorgesehen. Amann habe bestätigt, "dass er der festen Überzeugung ist, dass dieser Flughafen in seiner technischen Anlage fertigzustelllen ist", sagte Wowereit.
Was kommt auf die Fluggesellschaften zu?
Besonders für die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft Air Berlin ist die neue Lage ein Tiefschlag. Der größte Kunde am künftigen Airport will dort ein Drehkreuz mit etlichen Umsteigeverbindungen aufziehen - und musste enttäuscht feststellen, dass die Pläne nun schon wieder in die Warteschleife müssen. Die Verschiebung "geht zulasten aller Fluggäste", kommentierte das Unternehmen. Die Lufthansa mahnte, für die endgültige Fertigstellung brauche es eine belastbare Planung samt genügend Puffer für alle Fälle.
Was bedeutet die erneute Verschiebung für die Passagiere?
Millionen Reisende in der Hauptstadt müssen bis auf weiteres mit Provisorien auskommen: den beiden alten Berliner Flughäfen, die nun also noch länger in Betrieb bleiben. Der größte Hauptstadt-Flughafen Tegel, an dem vor allem Geschäftsreisende abheben, platzt schon jetzt aus allen Nähten. Air Berlin und die Lufthansa riefen die Betreibergesellschaft denn auch auf, dass dort nun alles getan werde, um einen besseren Standard zu erreichen - für einen längeren Übergangsbetrieb.