Ein Schicksalsschlag veränderte sein Leben

Die traurige Geschichte von Handball-Bundestrainer Alfred Gislason

HANOVER, GERMANY - JANUARY 08: Alfred Gislason, head coach of Germany reacts during the handball international friendly match between Germany and Iceland at ZAG-Arena on January 08, 2023 in Hanover, Germany. (Photo by Martin Rose/Getty Images)
Alfred Gislason
MR / MR, Getty Images, Bongarts

von Jan Luhrenberg

Alfred Gislason ist Isländer durch und durch. Ein harter Hund, groß gewachsen, knurrig, genießt die Ruhe – ein Wikinger, wie er im Buche steht. Doch all das scheint im Jahr 2021 wie weggeblasen: Der Handball-Bundestrainer erlebt einen schweren Schicksalsschlag, der sogar seine große Liebe zum Sport und seine Karriere gefährdet.

Familie lebt einen Albtraum

Der große Schock ereilt die Familie am 3. Mai! Ehefrau Kara-Gudrun erhält nicht zum ersten Mal die niederschmetternde Diagnose: Krebs. Ein Gehirntumor ist mit aller Macht und Brutalität zurückgekommen. Sofort bekommt Kara-Gudrun eine Chemotherapie, doch die Ärzte geben schnell auf. Sie können nichts mehr tun, der Kampf ist aussichtslos. Für die Familie ist das ein Albtraum.

Gislason fällt in ein Loch, will nach der Schock-Diagnose sogar sein Amt als Bundestrainer niederlegen. Damals stehen die Olympischen Spiele in Tokio kurz bevor, doch Gislason hat ganz andere Gedanken: Er will die letzte Zeit mit seiner Frau lieber in der Heimat erleben. Doch die hält ihren Mann auf, verhindert den Rücktritt. „Kara war auch wirklich sauer auf mich, als ich sagte, ich höre auf.“ Schon am 31. Mai stirbt sie im Alter von 61 Jahren – Wochen vor Beginn des Turniers.

Es sei „schockierend gewesen“, wie schnell es am Ende alles ging, erinnert sich Gislason dann im September zurück. Zu diesem Zeitpunkt spricht er erstmals über die schlimmste Zeit in seinem Leben. Der heute 63-Jährige verliert damals seine große Liebe: Alfred und seine Kara-Gudrun kannten sich seit ihrem 12. Lebensjahr, vier Jahre später verliebten sie sich. Seitdem waren sie ein Paar, heirateten, bekamen zwei Söhne und eine Tochter.

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Handball und Familie spenden Trost

„Es kam irgendwie alles zusammen“, sagt Gislason heute über die harte Zeit vor anderthalb Jahren. Aber er nehme das Schicksal so wie es sei. Trost erhält er nach dem Tod seiner Frau und auch heute noch in seiner Großfamilie: Eltern, Kinder und vier Enkelkinder, zu denen der Trainer eine innige Beziehung pflegt. Seit Kurzem ist er auch neu verliebt, hat eine neue Lebensgefährtin.

Auch der Handball gibt Gislason in dieser schweren Zeit viel Kraft. Er sagt jetzt: „Gerade wenn man eng mit jungen Leuten arbeitet, hält einen das auf Trab und am Leben. Es macht das Leben schön, wenn man junge Leute in ihrem Sport und auf ihrem Lebensweg weiterbringen kann. Es ist alles anders gekommen, als ich dachte, aber das Leben geht weiter. Und mir geht es persönlich inzwischen wieder sehr gut.“ Dass seine Frau ihn kurz vor ihrem Tod vom Rücktritt abhielt, ist also ein wahrer Segen für den Isländer.

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Der Trainer-Guru verspricht Erfolge

Auch für die deutsche Handball-Nationalmannschaft ist sein Verbleib ein Segen. Denn der Trainer-Guru verspricht Erfolge: Gislason gewann auf Vereinsebene schon alles, was es zu gewinnen gibt. In Deutschland hinterließ er vor allem in seiner Zeit beim THW Kiel einen bleibenden Eindruck. Höhepunkt seiner Karriere: In der Saison 2011/2012 spielte er mit den Norddeutschen die erfolgreichste Saison, die es jemals gab. Neben dem Pokal und der Champions League jubelte der THW auch in der Liga – und gewann dort sogar alle Spiele. Historisch!

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Nun ist Gislason seit 2020 Bundestrainer und soll das DHB-Team zu neuen Erfolgen führen. Das hat bislang nicht geklappt, ist aber bitter nötig. Seit dem EM-Titel 2016 und Olympia-Bronze im selben Jahr ist die deutsche Handball-Nationalmannschaft bei Großereignissen ohne Medaille geblieben. Platz zwölf vor zwei Jahren in Ägypten markierte die schlechteste WM-Platzierung in der Geschichte des Deutschen Handballbundes. Auch bei der EM 2022 sprang am Ende nur Platz sieben heraus.

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Bei der WM in Polen und Schweden, die für das deutsche Team am Freitag mit dem ersten Vorrundenspiel gegen Asienmeister Katar beginnt und mit Spielen gegen Serbien und Algerien weitergeht, soll sich das ändern. Das hat auch einen besonderen Grund: Das Turnier ist die Generalprobe für die Heim-EM 2024. Spätestens dort erhofft sich der DHB endlich wieder eine Medaille, sogar einen Zuschauer-Weltrekord und einen Handball-Boom im Land.

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Vorerst sieht Gislason sein Team aber als Außenseiter, der bescheidene Isländer stapelt bei den Zielen lieber tief: „Wir dürfen nicht träumen, sondern müssen realistisch bleiben.“ Ganz klein machen will der sympathische Menschenfänger seine Jungs aber auch nicht: „Wir gehören nicht zu den Favoriten, verfügen aber über Qualität. Wir wollen überzeugend auftreten und eine gute Platzierung erreichen.“ Kein einzelner Star, sondern die Mannschaft steht bei Gislason im Mittelpunkt. Und Werte wie Leidenschaft, Kampfgeist und Teamwork – alles Attribute, die den Menschen Gislason beschreiben.

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Doch obwohl es ihm nach dem Tod seiner Frau wieder sehr gut geht, so ein bisschen haben sich seine Ansichten auch nachhaltig weg vom so sehr geliebten Handball verschoben: „Ich habe es am eigenen Leib erfahren, wie wichtig Gesundheit für jeden Einzelnen ist.“ Dennoch will der Bundestrainer (Vertrag bis 2024) das Versprechen an seine Kara-Gudrun einhalten: Ein Karriereende ist weiter nicht in Sicht. „Der Handball wird mich nicht so schnell los“, sagt Gislason. (mit dpa/sid)