Dramatischer Hilferuf aus Aleppo: "Wir lieben den Frieden und wir wollen leben"
Transport von Verletzten aus Aleppo hat begonnen
Seit Tagen ringen Regime und Opposition um den Abzug von Kämpfern und Zivilisten aus Aleppos Rebellengebieten. Jetzt haben die ersten Verletzten und Zivilisten den Osten der Stadtr verlassen. Zuvor hatte die Welt erneut ein dramatischer Hilferuf aus der umkämpften syrischen Großstadt erreicht.
Buskolonne verlässt Rebellengebiete
Die ersten Verwundeten haben es aus der Hölle von Aleppo geschafft. Livebilder des pro-syrischen TV-Senders Al-Mayadeen zeigen eine Kolonne mit Bussen, die die Rebellengebiete Ost-Aleppos verlässt. Auch konkrete Vorbereitungen zum Abzug von Kämpfern und Zivilisten hätten begonnen, sagte eine Sprecherin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Etwa 20 Busse seien aus den vom Regime kontrollierten Gebieten aufgebrochen, um die ersten Menschen aus Rebellengebieten herauszuholen, hieß es aus syrischen Militärkreisen.
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So können Sie helfen
- Schließen Sie sich Demonstrationen an. In den sozialen Medien finden Sie unter dem Hashtag #Aleppo entsprechende Aufrufe. Bei Facebook können Sie die Suche auch nach Events in Ihrer Heimatstadt filtern.
- Spenden Sie an die Hilfsorganisationen. In Syrien aktiv sind unter anderem:
Ärzte ohne Grenzen. Die Organisation schickt immer noch mutige Mediziner nach Syrien, um die Opfer unter Einsatz ihres eigenen Lebens zu versorgen.
Save the Childern. Sie kümmert sich um traumatisierte und verwaiste Kinder aus dem Kriegsgebiet.
White Helmets. Die Mitglieder dieser Organisation bergen Opfer von Bombenagriffern unter den Trümmern.
- Schreiben Sie direkt an die Bundesregierung. Es gibt keinen offiziellen Protest gegen Bombardierung von Schulen und Krankenhäusern. Zwar appelliert Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) immer wieder, das Blutvergießen zu beenden. Eine öffentliche Debatte über den Schutz der Zivilbevölkerung in Syrien gibt es aber bisher nicht in der Bundesregierung. Schreiben Sie Ihrem Bundestagsabgeordnetem, sich klar dafür einzusetzen, sich öffentlich gegen die Kriegsverbrechen einzusetzen.
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"Wir wollen so leben wie der Rest der Welt"
Damit endet für die ersten Menschen eine zermürbende Zitterpartie um die Evakuierung der Rebellengebiete der Stadt. Nach Angaben der Organisation Save the Children harren aber noch immer Tausende Kinder im völlig zerstörten Ostteil der Stadt aus. Diese Mädchen und Jungen müssten sofort in Sicherheit gebracht werden. Viele von ihnen seien ohne Eltern, weil sie entweder von ihnen getrennt wurden oder die Eltern umkamen. Noch am Mittwochabend hatte ein Rebellensender einen Hilferuf aus Aleppo in die Welt geschickt. Das Video zeigt Dutzende Kinder. "Wir lieben den Frieden und wir wollen leben wie jeder andere auch. Aber wir können es wegen der Bomben nicht," sagt eines von ihnen.
"Das ist vielleicht das letzte Mal, das ihr mich hört und seht. Mein Name ist Jasmin Karmuz, ich bin zehn Jahre alt. Ich bin seit zwei Jahren Waise und habe meinen Papa und meine Mama verloren. Ich wünsche mir, dass ihr uns aus Aleppo holt. Hier sind 47 Kinder. Sie alle sind meine Geschwister. Wir wollen raus aus Aleppo, wir wollen essen und trinken. Wir lieben den Frieden. Wir können nicht rausgehen, weil wir Angst vor den Luftangriffen haben. Wegen der Bomben kommen wir nicht raus. Ich wünsche mir, dass ihr uns jetzt helft, dass wir endlich aus Aleppo rauskommen. Denn wir wollen so leben wie der Rest der Welt."
Ein Mitarbeiter der Partner-Organisation Schafak, die sich im Ostteil der Stadt um Verwundete kümmert, habe erzählt, dass die schwer beschädigten Einrichtungen überfüllt seien von Frauen und Kindern. Viele Patienten hätten komplizierte Verletzungen, für deren Behandlung Ausrüstung und Medikamente fehlten. "Viele Kinder sind durch Bombensplitter verletzt, aber im Krankenhaus können wir auch nichts mehr für sie tun. Das medizinische Personal ist in dieser Situation völlig gelähmt." Die meisten Menschen würden sterben, weil die Ärzte sich nicht adäquat um sie kümmern könnten.
Aktivisten senden Hilferufe per Twitter
Die Nachrichten aus Ost-Aleppo waren zuletzt immer dramatischer: Wochenlange heftige Luftangriffe haben große Teile des Gebiets zerstört. Mehr als 460 Zivilisten sind seit Mitte November durch Angriffe der Regierung getötet worden. Nach UN-Angaben sitzen noch Tausende in ehemals von Rebellen kontrollierten Vierteln fest und kommen nicht raus. Ihnen drohe Festnahme, Folter und Tod. Fotos zeigen Menschen, die auf der Suche nach Schutz vor der Gewalt durch die Straßen irren.
Viele Eingeschlossene verbreiten Hilferufe über soziale Medien, manche Botschaften klingen nach Abschied von dieser Welt. "An alle, die mich hören können", sagt eine Frau, die sich auf Twitter Lina Shamy nennt. "Uns droht ein Genozid. Dies ist vielleicht mein letztes Video." Später berichtet sie, das Assad-Regime und die iranischen Milizen hätten den Waffenstillstand gebrochen. "Sie sind zurück, greifen Zivilisten an und setzen den Genozid fort", sagt sie in ihrer Video-Botschaft.
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"Glaubt nicht mehr, was euch die Vereinten Nationen erzählen"
"Die Menschen wollen die Stadt so sehr verlassen und sich und ihre Familien in Sicherheit bringen", sagt ein Aktivist mit Namen Wissem. "Auf der anderen Seite lassen sie auch ihr Land, ihre Heimat, zurück. Für uns ist das ein sehr trauriger Tag." Wenn alle Kämpfer und Zivilisten Ost-Aleppo verlassen haben, bleiben Geisterviertel zurück. Einige haben vor der Abfahrt noch Botschaften an die Wände geschrieben. "Unsere zerstörten Häuser sind Zeugen unserer Standhaftigkeit gegen eure Verbrechen", heißt es. Und: "Wir werden eines Tages zurückkehren."
Auf Twitter gibt es unter dem Hashtag #Aleppo diverse Videos dieser Art. Ob diese Aufnahmen alle authentisch sind, ist nicht zweifelsfrei zu klären. Dennoch bieten die sozialen Medien einen Einblick, der sonst so nicht möglich wäre. Ein Mann namens Mr. Alhamdo hat sein Video "last call from Aleppo" genannt. Die letzte Botschaft, weil der Mann, der sich als "Lehrer, Aktivist und Reporter bezeichnet, nicht weiß, was mit ihm passieren wird. Er ringt mit den Tränen und macht seiner Enttäuschung über die Internationale Gemeinschaft Luft: "Glaubt nicht mehr, was euch die Vereinten Nationen und die Internationale Gemeinschaft erzählen. [...] Sie sind einverstanden damit, dass wir getötet werden. Dass wir hier eines der furchtbarsten Massaker der jüngsten Geschichte erleben. Russland will nicht, dass wir hier lebendig rauskommen. Das Gleiche gilt für Assad. Sie wollen uns tot sehen."
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Dirk Emmerich: "Es gibt den Willen, das Abkommen auch umzusetzen"
Wer wie er in den schrumpfenden Rebellengebieten zurückgeblieben ist, rechnet mit dem Schlimmsten. Darunter sind viele oppositionelle Aktivisten, Feinde des Regimes. Die UN berichteten von Hunderten Männern, die nach ihrer Flucht in Regierungsgebiete verschwunden sind, Schicksal unbekannt. Regierungstruppen sollen nach Angaben der UN zudem mindestens 82 Zivilisten getötet haben. "Die Menschen, die erschossen wurden, wurden nach unseren Berichten sowohl auf der Straße erschossen, als sie fliehen wollten, also auch in ihren eigenen Häusern", sagt ein UN-Sprecher.
Dirk Emmerich hat regelmäßig für RTL aus Syrien berichtet. Er hat Hoffnung, dass das Abkommen über den Abzug von Kämpfern und Rebellen spätestens am Wochenende zum Tragen kommt: "Das Entscheidende wird sein, dass alle Gruppen, alle Milizen, sowohl auf der Seite der syrischen Armee, als auch alle Kräfte auf den Rebellenseiten, sich daran halten", so Emmerich. "Es gibt von den Hauptakteuren, die dieses Abkommen mit tragen, den Willen das am Ende auch umzusetzen. Das wäre Hoffnung. Viele Zivilisten sind sehr skeptisch nach den vielen Luftangriffen und schrecklichen Ereignissen. Da muss erst etwas wie Vertrauen wachsen, das wird extrem schwierig werden."
"Gibt es wirklich nichts, was Sie beschämt?"
Nach Angaben der Vereinten Nationen waren in den vergangenen Tagen mehr als 40.000 Menschen aus den umkämpften Gebieten geflohen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Syrien sprach zuletzt von katastrophalen Zuständen. Es habe demnach keine medizinische Versorgung mehr gegeben. Die Menschen hätten sich teilweise tagelang versteckt, ohne Wasser und Nahrung.
Syrien und seine Verbündeten Russland und Iran sind nach Ansicht der USA für einen "kompletten Kollaps der Menschlichkeit" in Aleppo verantwortlich. Die drei Länder stünden hinter "der Eroberung und dem Blutbad in Aleppo" und seien für die in der Stadt verübten Gräueltaten verantwortlich, sagte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, im UN-Sicherheitsrat. Zudem zeigten sie keinerlei Gnade für die Zivilisten. "Können sie wirklich keine Scham fühlen? Gibt es wirklich nichts, was Sie beschämt?", fragte Power. "Gibt es keinen barbarischen Akt, keine Hinrichtung eines Kindes, die unter Ihre Haut geht, die sie auch nur ein bisschen gruselt? Gibt es nichts, über das Sie nicht lügen oder das sie nicht rechtfertigen?"
Laut Emmerich sind aber auch die Rebellen keine homogene Gruppe: "Viele Rebellen sind unter dem Einfluss von Al-Nusra, haben Geld, das kommt zum großen Teil aus Saudi Arabien, das ist ein Ableger von Al-Kaida. Deswegen ist es sehr schwierig, einzuschätzen, wie das am Ende dort weiter geht. Man muss sich dafür hüten, die Rebellen alle als Freiheitskämpfer für ein demokratisches Syrien einzuordnen, wie das bei uns oft getan wird."