Düsterer Thriller
"Die F*ck-It-Liste" von John Niven im Check: Rache an Trumps Amerika
Auf Trump folgt Trump
Joe Biden hat die US-Präsidentschaftswahl 2020 gewonnen. Doch wer weiß, was ohne Corona passiert wäre? Vor dem Ausbruch der Pandemie standen die Chancen auf eine Wiederwahl Donald Trumps nicht schlecht. Vielleicht hätte er gewonnen, Mike Pence als Vize-Präsidenten gefeuert und stattdessen seine Tochter Ivanka mit dem Job betraut, um kurz vor Ende der zweiten Amtszeit zurückzutreten und ihr den Weg an die Spitze des Landes freizumachen, um 2024 vom Volk in diesem Amt bestätigt zu werden. Dann hieße im Jahr 2026 das Staatsoberhaupt der USA noch immer Trump, und weiß, wie sich das Land bis dahin entwickelt hätte. „Die F*ck-it-Liste“* von John Niven gibt eine Idee davon.
von Tobias Elsaesser
Fünf müssen büßen
In einem Amerika, das sich mittlerweile so entwickelt hat, wie viele Trump-Anhänger sich das wünschen (Abtreibungen verboten, offenes Tragen fast aller Waffen erlaubt, rigorose Ausländerpolitik), lebt Frank Brill, der ehemalige Chefredakteur einer Zeitung aus Schilling, Indiana. Allerdings nicht mehr lange, denn er hat Krebs im Endstadium, es bleiben ihm nur noch ein paar Monate. Viele haben ja für so einen Fall – nachdem der Schock verdaut ist – Rückhalt aus der Familie und eine Liste mit Dingen, die man im Leben noch unbedingt getan oder gesehen haben muss. Frank allerdings ist allein.
Nur eine der drei Frauen, mit denen er verheiratet war, lebt noch, will aber nichts mit ihm zu tun haben, seine beiden Kinder sind auf tragische Weise ums Leben gekommen. Und eine sogenannte Liste hat er auch nicht, also macht er sich eine. Keine Bucket-Liste, sondern eine Fuck-it-Liste. Fünf Punkte, fünf Namen, fünf Menschen, die sterben sollen, bevor er es tut. Denn diese fünf Menschen sind auf irgendeine Weise schuld daran, dass sein Leben so ist, wie es am Tag der Krebsdiagnose eben ist. Einsam, trostlos, vorbei.
Zwar hat Frank selbst eine Menge verbockt, doch ohne die fünf Menschen auf seiner Liste wäre vieles anders gewesen. Besser. Davon ist er jedenfalls überzeugt. Er wäre kein Witwer, der seine Kinder hat begraben müssen.
Keine guten Chancen für die Gerechtigkeit
„Die Fuck-it-Liste“ ist allerdings keine in eine wahllose Zukunft verlegte „Ein Mann sieht rot“-Variante. Frank Brill sieht nicht rot - alles, was er rächen will, liegt bereits Jahre zurück. Er ist einigermaßen selbstreflektiert und weiß um die Dinge, die auf seine eigene Kappe gehen. Er hat längst resigniert, will aber vor seinem endgültigen Ableben Gerechtigkeit – nicht unbedingt für ihn, sondern für die Menschen, die ihm in seinem Leben wichtig waren. Denn er hat das Gefühl – und da kommt der Zeitpunkt der Handlung ins Spiel – dass dieses Amerika 2026 nicht in der Lage ist, gewissen Gruppen von Menschen zu Gerechtigkeit zu verhelfen.
Es ist ein Amerika, in dem jeder einzelne seiner Werte verraten und entehrt wurde. Ein Amerika, in dem die Stimmen der Vernunft und der Mäßigung komplett verstummt sind. „Die Fuck-it-Liste“ ist nicht nur ein Thriller, es ist eine amerikanische Dystopie, die auch nach Trumps Abwahl noch immer erschreckend wahrscheinlich erscheint. Es ist ein ernüchterndes Bild eines immer tiefer gespaltenen Landes, in dem derjenige, der die Macht hat, auch das Recht und die Deutungshoheit auf seiner Seite hat. Und es beschreibt eine Gesellschaft, die an den Rändern ideologisch gefestigt, aber in der Mitte zutiefst verletzlich und unsicher ist.
Als Frank Zeuge von Polizeigewalt gegen illegale Immigranten wird, fragt er sich, wie die Öffentlichkeit auf ein geleaktes Handyvideo (in den USA ist 2026 verboten, Staatsbeamte bei der Ausübung ihrer Arbeit zu filmen) reagieren würde. Sein Fazit ist ernüchternd und im Grunde schon in 2020 Realität: „Die Linken würden glauben, was sie glauben wollten, und die Rechten würden ebenfalls glauben, was sie glauben wollten, während die Menschen in der Mitte, die Menschen, die zwischen den Fronten gefangen waren, die Hände heben und sagen würden: ‚Woher soll man schon wissen, was stimmt und was nicht?‘ – Frank Brill war einst Chefredakteur einer Zeitung. Heute schätzte er sich glücklich, nicht mehr lange leben zu müssen.“
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Thriller, Dystopie , Satire
Autor John Niven lässt es sich nicht nehmen, an manchen Stellen gnadenlos zu übertreiben. Brills Gegenspieler, der Cop Chops ist eine überzeichnete Karikatur eines Trumpisten: fett, homophob, rassistisch, sexistisch und pädophil. Während Brill von all den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die er verabscheut, auf seinem Rachefeldzug durch die gesamten USA profitiert, weil sie ihm sein Handeln einfach machen, ist einzig Chops ihm auf der Fährte. Alles läuft auf den ultimativen Showdown zwischen den beiden hinaus, der für beide sehr überraschend verläuft.
Niven gelingt es, Thriller, Satire und Dystopie miteinander stimmig zu vermischen, und er zeigt, dass die Demokratie nicht von einem Tag auf den nächsten der Diktatur weichen muss, sondern, dass dies auch sehr schleichend geschehen kann. Und es muss nicht einmal zwangsläufig zum Abschluss kommen, um die Würde mancher Menschen mehr zu respektieren als die anderer, und Werte zu diskreditieren.
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