Bundesregierung fürchtet rot-grüne Blockadehaltung im Bundesrat

Ein-Stimmen-Mehrheit verschiebt bundesweite Kräfteverhältnisse

Der hauchdünne Sieg von Rot-Grün in Niedersachsen – mit einer Ein-Stimmen-Mehrheit im Landtag gegenüber Schwarz-Gelb (69 zu 68 Mandate) – hat auch die Kräfteverhältnisse im Bundesrat neu geordnet. Mit dem Wechsel zu Rot-Grün in Hannover kommt das Oppositionslager (SPD, Grüne und Linkspartei) in der Länderkammer auf 36 der 69 Stimmen und hat damit die Gestaltungsmehrheit – auch eine Blockade von Gesetzesinitiativen von Seiten der Bundesregierung ist nun möglich.

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Jetzt ist guter Rat teuer: Das Durchbringen von Reformen wird durch die Mehrheit von Rot-Grün im Bundesrat nun deutlich schwieriger.
dpa, Michael Kappeler

Dieser Machtverschiebung sieht die schwarz-gelbe Regierungskoalition mit großer Sorge entgegen. "Der Bundesrat kann sich jetzt zum Büttel der Parteizentralen von Rot-Grün machen", sagte der CDU-Generalsekretär, Hermann Gröhe. Möglichen rot-grünen Gesetzesinitiativen im Bundesrat schiebt Gröhe gleich mal einen Riegel vor: "Wir haben eine klare Mehrheit im Bundestag, um da auch Unsinn zu verhindern."

Nach dem Wahlerfolg hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel erbitterten Widerstand gegen das von der Bundesregierung beschlossene Betreuungsgeld angekündigt. Seine Partei werde "alles unternehmen, um dieses irrsinnige Betreuungsgeld zu verhindern", sagte Gabriel am Montagabend im ZDF.

SPD und Grüne hatten bereits vor der Niedersachsen-Wahl angekündigt, bei einem Wahlsieg Initiativen zu starten, um das Betreuungsgeld zu stoppen. Beide Parteien wollen nun mit der neuen Mehrheit in der Länderkammer mit eigenen Gesetzesinitiativen den Druck auf die Regierung erhöhen.

Gabriel betonte, es gehe darum, zwei Milliarden Euro dort "reinzugeben, wo wir den größten Bedarf haben, beim Ausbau der Kindertagesstätten und Ganztagsschulen". Auch das Steuerabkommen mit der Schweiz werde die SPD weiterhin ablehnen.

334 Wähler waren das Zünglein an der Waage

Unionsfraktionschef Volker Kauder rechnet fest mit einer Blockadehaltung der SPD im Bundesrat. "Ich gehe davon aus, dass es im Bundesrat kaum noch möglich sein wird, Vorhaben durchzubringen, die die SPD nicht machen will", sagte Kauder dem ZDF.

CDU-Parteichefin Angela Merkel schickt vorsichtshalber schon einmal eine Mahnung an die Adresse von Rot-Grün, die künftige Mehrheit im Bundesrat verantwortungsvoll zu nutzen werden. "Wir leben in schwierigen Zeiten, und deshalb wird sich sicherlich jeder genau überlegen, wie er seine Verantwortung wahrnimmt", sagte die Kanzlerin. "Die Bundesregierung tut das auf ihre Weise, und der Bundesrat wird das auch tun." Merkel nehme jetzt einfach mal den SPD-Vorsitzenden beim Wort, sagte sie in Richtung von Gabriel.

Die Grünen, die mit dem Rekordergebnis in Niedersachsen (13,7 Prozent) neues Selbstvertrauen getankt haben, haben einen verantwortungsbewussten Umgang mit der neuen Situation im Bundesrat zugesagt. "Wir werden die Bundesratsmehrheit verantwortlich nutzen: nicht blockieren, aber korrigieren", teilte Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck via Twitter mit. "Was der Ländermehrheit nicht passt, geht in den Vermittlungsausschuss", so Beck, der dem Vermittlungsgremium von Bundestag und Bundesrat angehört

Nach ihrem Foto-Finish in Niedersachsen wolle die SPD nun zügig mit den Grünen eine Landesregierung bilden, sagte der zukünftige Ministerpräsident Stephan Weil. Danach wolle sie die neue Mehrheit der von SPD, Grünen und Linkspartei regierten Länder im Bundesrat zu Initiativen auf Bundesebene nutzen. Gemeinsam mit anderen Ländern werde Niedersachsen "sehr schnell daran arbeiten, dass das Betreuungsgeld wieder wegkommt", so Weil weiter, der auch einen Vorstoß für einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn ankündigte.

"Das wird ein Bündnis der Gemeinsamkeit, ein Bündnis der Kooperation",sagte SPD-Landesgeschäftsführer Michael Rüter in Hannover. Es seien keine Koch-und-Kellner-Rollen zu vergeben. Inhaltlich erwarte er keinen großen Dissens mit den Grünen. Erste wichtige Ziele für die SPD seien die Abschaffung der Studiengebühren und Akzente in der Regionalpolitik.

"Wir wollen dieses Land mit der SPD regieren", sagte der Grünen-Spitzenkandidat Stefan Wenzel. "Wir werden von unserem Ergebnis gut gestärkt in die Gespräche gehen." Welche Ressorts die Grünen für sich beanspruchen wollen, präzisierte er nicht. "Wir schließen von Anfang an nichts aus." Co-Spitzenkandidatin Anja Piel kündigte an, die Grünen wollten angesichts ihres guten Abschneidens viel von ihren Vorstellungen in die Verhandlungen einbringen. Als Schwerpunkte nannte sie Umwelt, Bildung und die Agrarwende. Knackpunkte bei den Koalitionsverhandlungen könnten die Ausgestaltung der Agrarwende sowie die Verkehrspolitik werden.

In all den rot-grünen Jubelarien gibt es nur einen Wehrmutstropfen aus Sicht der Genossen und der heißt Peer Steinbrück. Der SPD-Kanzlerkandidat gab sich ungewöhnlich selbstkritisch nachdem die ersten Prognosen in Niedersachsen für die SPD nichts Gutes versprachen. Steinbrück selbst und zahlreiche SPD-Spitzenpolitiker hatten am Wahlabend eingeräumt, dass es für den Wahlerfolg in Niedersachsen aus Berlin keinen Rückenwind gegeben habe. Die SPD im Bund und Steinbrück waren in den Umfragen abgesackt, nachdem der frühere Finanzminister das Kanzlergehalt als zu gering bezeichnet hatte.

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles goss demzufolge auch etwas Wasser in den Wein. "Es wird ein hartes Stück Arbeit, um diese Bundestagswahl zu gewinnen", sagte Nahles dem Deutschlandfunk. Sie mache sich jedoch keine Sorgen um SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück. Den Gegenwind durch die Diskussionen um seine Nebenverdienste hätten die SPD-Wahlkämpfer in Niedersachsen durchgestanden. Auch wenn die Debatte teilweise aufgebauscht worden sei, sei sie nicht hilfreich gewesen. "Das muss besser werden", forderte die Generalsekretärin.

Der abgewählte niedersächsische Ministerpräsident David McAllister (CDU) ließ offen, ob er Oppositionsführer in Hannover werden oder möglicherweise nach Berlin wechseln will. Die CDU in Niedersachsen wolle sich ein paar Tage Zeit nehmen, um zu überlegen, wie man sich neu aufstelle, sagte McAllister.

Umso bitterer für McAllister ist die Tatsache, das letztlich 334 Wählerstimmen den Wahlausgang zu seinen Ungunsten entschieden haben. Im Landkreis Hildesheim bekam SDP-Kandidat Bernd Lynak gerade einmal 334 Erststimmen mehr als CDU-Konkurrent Frank Thomas Wodsack. Hätte die CDU diesen Wahlkreis gewonnen, hätte das dem schwarz-gelben Lager auch bei vollem Ausgleich der Überhangmandate eine Mehrheit gesichert, sagte Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen. "Man kann sagen, dass 334 Wähler die Wahl entschieden haben."