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Berlin und Hamburg träumen von der 15-Minuten-Stadt - was ist dran am Hype?
von Mireilla Zirpins
Ob Paris, Kopenhagen, Barcelona oder Berlin: Die 15-Minuten-City ist DAS angesagte Konzept für lebenswerte und ökoverträgliche Städte im 21. Jahrhundert. In denen sollen wir alles, was wir zum Leben brauchen, in 15 Minuten erreichen können. Geht das? Wem nutzt es was? Und wer hat was dagegen?
Paris macht’s vor: adieu „métro, boulot, dodo“
Schluss mit „U-Bahn, Arbeit, Heia“! Die Zeit, in denen man nach der Arbeit in eine „Schlafstadt“ heimbrauste, soll endlich Geschichte sein. Das hat sich zumindest die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo auf die Fahnen geschrieben. Schule, Supermarkt, Arzt, Arbeit, Kultur oder Sport – das alles soll man in Paris innerhalb von 15 Minuten erreichen können. Mit Rad oder ÖPNV. Und noch lieber sogar zu Fuß. Die Idee von Anne Hidalgos Berater Carlos Moreno von der Pariser Uni Sorbonne: „Zugang für jeden, jederzeit.“ Ein Modell, das weltweit schon länger Schule macht, auch unter Begriffen wie „Smart City“ oder „Compact City“.
Freizeitkultur und Natur sollen zu den Menschen kommen, nicht umgekehrt
Menschen sollen nicht an den Stadtrand ziehen müssen, um näher an Grünflächen oder Freizeitangeboten zu sein. Das soll dem Einzelnen Fahrtkosten und Zeit sparen – und für die Allgemeinheit klimaschädliche Emissionen. Natur und lebensnotwendige Einrichtungen sollen zu den Menschen in den innerstädtischen Raum gebracht werden. Dieser muss dafür umgestaltet werden. In Paris ist der Plan, Schulhöfe zu kleinen Parks oder Freizeitoasen umzugestalten. Nach Schulschluss und am Wochenende sind die Flächen offen für alle.
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Barcelona setzt stattdessen auf so genannte „Superilles“. Mehrere Häuserblocks werden zusammengefasst. Der Verkehr läuft über große Achsen außenrum, die Straßen innerhalb der Abschnitte werden umfunktioniert. Wo sich vorher Autos stauten, gibt’s jetzt Plätze und Alleen, in denen Fußgänger und Radfahrer Priorität haben. Am Rand laden Sitzgelegenheiten zu einem Pläuschchen im Schatten ein.
Verkehrswende soll die CO2-Bilanz retten
Klingt erstmal gut. Schließlich stehen viele von uns täglich auf dem Weg zu Arbeit oder ins Grüne im Stau oder warten auf die verspätete U-Bahn. Oder wir kämpfen uns zu Fuß oder mit dem Rad durch ein Verkehrschaos aus Lieferwagen und Parkplatzsuchenden.
Wer sich früher mal in Paris mit dem Auto durchs Gewimmel auf den großen Boulevards durchgewuselt hat, kommt tatsächlich heute aus dem Staunen nicht heraus. Weniger Autos und zwischen den neuen gut ausgebauten Radwegen nicht viel Raum für „Spur-Hopping à la française“. Die Statistik belegt: Die Zahl der mit dem Rad zurückgelegten Kilometer steigt kontinuierlich. Die lästigen E-Roller hingegen haben die Pariser gerade erst verbannt – ein Teil der alten E-Fahrzeuge wird nach Berlin geschickt.
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Auch die deutsche Hauptstadt träumt von der Viertelstunden-City und fängt bei den Touristen an. Für sie gibt’s Besichtigungsvorschläge im 15-Minuten-Umkreis beliebter Hotels. Und auch als Bewohner muss man manche Kieze nicht verlassen, wenn man ins Kino will oder in die Sauna. Das funktioniert in Schöneberg oder Prenzlauer Berg prima. Doch Berlin hat viel mehr Fläche als das vollgepackte Paris (mehr als zwei Millionen Menschen auf einem Viertel des Raums der Ein-Millionen-Stadt Köln). Und am Ende ist es in fast allen Großstädten so: Wer in den Außenbezirken lebt, muss für alles außer Arzt, Schule und Supermarkt weit fahren.
Kritik am Konzept der 15-Minuten-Stadt
Genau das ist wohl der größte Kritikpunkt an den 15-Minuten-Städten: dass sie das Leben für die Bewohner der Innenstädte angenehmer und ökologischer machen, nicht aber für die Menschen, die sich die teuren Mieten dort nicht leisten können. Dass die ökologisch korrekten Viertel nicht gemischt genug seien, ja sogar in Zukunft vielleicht sogar noch homogener und damit sozial ungerechter werden könnten. Und dass es am Ende nicht gerade den Horizont erweitere, wenn man Kultur nur da konsumiere, wo man zu Fuß hingehen könne.
Fahrkundschaft: in Paris unerwünscht
Auch vom Einzelhandel kommt Kritik. Geschäftsinhaber befürchten, dass in autofreien Zonen die Kundschaft wegbleiben könnte. In Köln ist gerade erst eine autofreie Einkaufstraße am Widerstand des örtlichen Handels und einem Gerichtsurteil gescheitert. Aber heißt es nicht „Laufkundschaft“?
Wer mit dem Auto an einem Schaufenster vorbeikommt, muss erstmal einen Parkplatz suchen. Die sind rar gesät und werden immer teurer. Und das findet Anne Hidalgo in Paris auch genau richtig so. Deshalb wird Parken hier immer teurer. Bis zum Ende ihrer zweiten Amtszeit 2026 hat die Bürgermeisterin ein ehrgeiziges Projekt: 70.000 öffentliche Parkplätze – das ist die Hälfte der öffentlichen Parkplätze der französischen Hauptstadt – sollen durch Grünflächen fürs Urban Gardening ersetzt werden.