Bundesländer schieben sich Verantwortung gegenseitig zu
Behörden-Desaster im Fall Ibrahim A.: Ausländerbehörde wird über Entlassung informiert - knapp eine Woche nach der Tat!
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Die neuen Erkenntnisse rund um die Messerattacke in Brokstedt sind kaum zu glauben: Erst zwei Wochen nach der Entlassung des mutmaßlichen Täters Ibrahim A. und knapp eine Woche nach der Bluttat von Brokstedt informiert das Landgericht Hamburg offiziell über Fax und Mail die Ausländerbehörde Kiel über die Entlassung von Ibrahim A.
Neue Erkenntnisse bei der Frage nach der Verantwortung
Die tödliche Messerattacke im Regionalzug, bei der zwei junge Menschen mit ihrem Leben bezahlen mussten, hat ganz Deutschland bewegt. Jetzt hat die Landeshauptstadt Kiel gemeinsam mit dem Hamburger Ausschuss für Justiz und Verbraucherschutz nach einer Sitzung am Donnerstag (2. Februar) neue Erkenntnisse zu der Frage nach der Verantwortung in einer Pressemitteilung veröffentlicht. Und diese sprechen nicht gerade für die Behörden beider Bundesländer.
Das sind die fünf neusten Erkenntnisse in Bezug auf den Kontakten zwischen den Behörden:
1. Bereits eingeleitete Verfahren
Die Polizei Hamburg hat bereits vor knapp zwei Jahren, am 17. Dezember 2021, ein Verfahren wegen Körperverletzung gegen den mutmaßlichen Täter Ibrahim A. eingeleitet.
Doch damit nicht genug. Auch ein Jahr später, am 18. Januar 2022, hat die Hamburger Polizei ein Verfahren eingeleitet, weil Ibrahim A. einen Diebstahl begangen haben soll.
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2. Eine Arbeitsgruppe wurde bereits aufmerksam, auch das BAMF war informiert
Bei der Sitzung ist außerdem bekannt gemacht worden, dass ein Beamter des Landeskriminalamts (LKA) am 1. März 2022 der Polizei Hamburg mitgeteilt hat, dass eine spezialisierte Arbeitsgruppe bereits auf Ibrahim A. aufmerksam geworden sei. Das LKA soll daraufhin konkret nach seinen aktuellen ausländerrechtlichen Status gefragt haben. Die Polizei Hamburg habe eine Anlage mit fünf verschiedenen Vorgangsnummern für den Zeitraum verschickt. Doch die Informationen rund um die Anordnung einer Untersuchungshaft sollen nicht dabei gewesen sein.
Wegen des ausländerrechtlichen Status habe sich dann die zuständige Sachbearbeiterin der Zuwanderungsabteilung in Kiel am 9. März 2022 gemeldet: Sie soll die letzte Meldeanschrift, die bekannten Straftaten aus dem Bundeszentralregister und das im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geführte Widerruf- und Rücknahmeverfahren genannt haben. Auch das BAMF soll diese ausführliche Antwort erhalten haben.
3. Behörden schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu
Im Rahmen der Sitzung zwischen der Stadt Kiel und dem Hamburger Ausschuss für Justiz und Verbraucherschutz sind ebenfalls neue Informationen zum E-Mail-Verkehr zwischen der JVA Billwerder und der Landeshauptstadt Kiel bekanntgemacht worden.
Konkret geht es um die am 4. Mai 2022 erhaltene Nachricht aus der Justizvollzugsanstalt Billwerder (JVA), dass der Beschuldigte Ibrahim A. dort in U-Haft sitzt. Außerdem sei die Bitte aus Hamburg gekommen, die Fiktionsbescheinigung zu verlängern – damit gilt der Aufenthalt vorübergehend als rechtmäßig und erlaubt.
Bei den neuen Erkenntnissen soll ein Ausländerberater der JVA die Landeshauptstadt Kiel kontaktiert haben, um eine beabsichtigte Suchtberatung zu klären. Diese E-Mail sei am 6. Mai 2022 von der zuständigen Sachbearbeiterin mit Rückfragen zur Klärung der örtlichen Zuständigkeit beantwortet. Eine Antwort darauf von der JVA sei nicht in den Akten beziehungsweise E-Mail-Postfächern in Kiel aufzufinden. Allerdings sei nach Hinweis der Freien und Hansestadt Hamburg an das Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung eine Antwort noch am gleichen Tag durch die JVA erfolgt.
Dieser Gegensatz soll intern weiter aufgeklärt werden. Hier schieben sich sichtlich die Behörden beider Bundesländer in Bezug auf den Umgang mit dem mutmaßlichen Täter seit Tagen gegenseitig die Verantwortung zu.
4. Keine weiteren Kontaktversuche
Bei der weiteren Suche nach einem Austausch zwischen den Behörden aus Hamburg und Kiel kam es bei der Sitzung zu dem Ergebnis, dass abgesehen des genannten Kontakts beziehungsweise der Kontaktversuche, zum Beispiel im November 2022, nichts weiter dokumentiert oder bekannt sei.
5. Sehr späte Information über die Entlassung an die Kieler Ausländerbehörde
Die Stadt Kiel ist nach eigenen Angaben erst an diesem Donnerstag, den 2. Februar, erst offiziell über die Entlassung von Ibrahim A. aus der U-Haft in Hamburg informiert worden. Das Landgericht Hamburg habe die Ausländerbehörde per E-Mail (11.59 Uhr) und per Fax (12.01 Uhr) über die Aufhebung des Haftbefehls und die Entlassung des mutmaßlichen Täters von Brokstedt informiert. Vorher habe es keine aktenkundige Information über die Haftentlassung gegeben, sagte Stadtsprecherin Kerstin Graupner der dpa am Freitag.
In der Pressemitteilung der Landeshauptstadt Kiel heißt es weiter, dass sie den Fall „weiterhin transparent aufarbeiten und darüber informieren“. Die intensive Recherche und Befragungen von Mitarbeitenden und Führungskräften im zuständigen Amt werde weiter fortgesetzt. (dpa/ljo)