Afghanistan: Folterer von 15-Jähriger wieder auf freiem Fuß
Fast zu Tode gefoltert
Ihr Fall sorgte weltweit für Entsetzen: Als Sahar Gul Ende 2011 im Keller ihrer Schwiegereltern in der Provinz Baghlan im Nordosten Afghanistans gefunden wurde, war sie halb verhungert und ihr Körper mit Wunden übersät. Ihre Peiniger wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Menschenrechtler kritisierten das Urteil schon damals als zu milde, nun kommt es noch schlimmer: Die Täter sind bereits wieder auf freiem Fuß. Dies berichtet die britische Zeitung 'The Guardian'.
Sahar Gul wurde im Alter von 13 oder 14 Jahren von ihrem Stiefbruder für 5.000 US-Dollar an eine Familie verkauft, um deren 30-jährigen Sohn zu heiraten. Als sich das Mädchen weigerte, sich zu prostituieren, wurde sie ein halbes Jahr lang in einer Toilette im Keller des Hauses der Familie angekettet und gefoltert. Ihre Schwiegereltern und ihre Schwägerin rissen ihr die Fingernägel heraus, brachen ihr die Handgelenke, malträtierten sie mit Zangen und glühenden Eisenstangen, berichtet die 'New York Times'.
Nach eigenen Angaben wurde sie hauptsächlich von ihrer Schwiegermutter gefoltert. Ihr 'Ehemann' habe bei den Folterungen nicht mitgemacht, habe aber auch nichts unternommen, um ihren Qualen ein Ende zu setzen. Mehr tot als lebendig, wurde sie schließlich befreit. Da sie nicht mehr gehen konnte, wurde sie mit einem Rollstuhl ins Krankenhaus gebracht.
Ihre drei Peiniger wurden im Mai 2012 zu zehn Jahren Haft verurteilt. Doch gut ein Jahr später wurden ihre Schwiegereltern und ihre Schwägerin still und heimlich von einem Berufungsgericht wieder entlassen. Die Freilassung sei damit begründet worden, dass es keine Beweise gebe. "Doch die Leute, die Beweise hätten vorlegen können, wussten gar nichts von der Verhandlung", erklärte Kimberley Motley. Die US-Amerikanerin ist die Anwältin des Opfers.
Prozess ohne Zeugen
Weder ein Staatsanwalt noch ein Vertreter des Opfers seien anwesend gewesen. "Ich glaube, die einzige Person vor Gericht war der Verteidiger der Angeklagten", so die Anwältin. Motley vermutet, dass die schnelle Freilassung durch Bestechungsgelder zustande kam. "Das ist Korrumpierung der Justiz. Ich weiß nicht, wie sie das rechtfertigen können", erklärte Motley weiterhin.
Dass ihre Peiniger entlassen worden sind, ist ein Schock für Sahar Gul. "Sie hat Angst um ihr Leben", sagte Manizha Naderi, Chefin der Hilfsorganisation 'Women for Afghan Women'. "Ihre Schwägerin sagte bei ihrer Verurteilung: 'Wir haben dich damals nicht getötet, aber wenn ich rauskomme, werde ich dich töten'", zitierte sie das Blatt.
Das Schicksal von Sahar Gul hatte in Afghanistan eine Debatte um die Rechte der Frauen ausgelöst. Heiraten ist in Afghanistan offiziell im Alter von 16 Jahren erlaubt. Laut Zahlen der UN werden allerdings mehr als die Hälfte aller Mädchen zur Hochzeit gezwungen, wenn sie jünger als 15 Jahre alt sind. Die für afghanische Verhältnisse relativ hohe Strafe für die Täter wurde als Fortschritt und ein gutes Zeichen für die Frauenrechte in Afghanistan angesehen. Ihre vorzeitige Freilassung zeigt das Gegenteil.